Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
einen Anlass
wartete, um seine eigene Wut herauszuprügeln. James ahnte bei ihm eine
Gewalttätigkeit, der er sich nicht gewachsen fühlte. Er hatte keine Lust, mit
ein paar gebrochenen Rippen und eingeschlagenen Zähnen weiterfahren zu müssen.
Mochte ja feige sein, aber vernünftig war es auch. Also zwang er sich, ruhig zu
atmen und geradeaus auf die steinige Straße zu sehen, auf den Kalendio-Wagen,
der vor ihnen fuhr. Ein paar Minuten später begann hinter ihnen Brogue zu
singen.
5
Schon
lange, bevor sie Halmyre erreichten, konnte man erkennen, dass man sich endlich
einem größeren Ort näherte. Der erste richtige Fluss hier in Orolo kam hinter
den Hügeln im Norden hervor und strömte zwischen immer dichterem Grün Richtung
Südosten. Die Halme war nur ein schmales Flüsschen, das zudem Niedrigwasser
führte, aber es reichte für Lastflöße und Boote. Die Straße wurde breiter, nahm
Nebenstraßen auf, die nicht länger aus dem Nichts zu kommen schienen, sondern
zwischen Feldern zu Dörfern führten, auch wenn diese gänzlich hinter den hohen
Zäunen verschwanden. Nachdem sie tagelang kaum einem anderen Wagen begegnet
waren, wurde es jetzt mehrmals eng, und sie mussten Erntewagen und Karren Platz
machen und auch einzelne Reiter vorbeilassen.
Die Landschaft vor ihnen fiel nun deutlich ab, und so
konnten sie am frühen Nachmittag Halmyre wie ein Spinnennetz aus Straßen und
Häusern vor sich in der Ebene liegen sehen, mit dem Band des Flusses darin,
umgeben von Feldern und Grün. Sie waren noch weit genug entfernt und noch so
viel höher als die Stadt, dass sie über ihre Mauer hinwegsehen konnten, über
der Schwärme von Vögeln kreisten. Als sie näherkamen, sahen sie, dass auf einem
Sockel aus schweren Bruchsteinen noch eine meterhohe Hecke wuchs, und aus
dieser ragten gewaltige Standarten noch weitere Meter in den Himmel.
Seit seine Galiziak-Schicht zu Ende war, saß James
neben Haminta auf der Kutschbank von Kriopes Karren und ließ sich ins
Kutschieren einweisen, nur um überhaupt etwas zu tun. Hin und wieder sah er
nach hinten in den Wagen. Kriopes Zustand war unverändert, was unter diesen
Umständen fast ein Wunder war.
Dennoch, es war kein guter Tag heute, man konnte seine
Feindseligkeit geradezu spüren. Hitze und Staub, der die Sonne und den Horizont
in gelblichen Dunst hüllte, ein zerrender, immer wieder umspringender Wind. Das
Wasser, das sie noch von Fendurnen in den Fässern und Kruken hatten, war
brackig geworden. Vor ihnen schrie und heulte seit der Mittagsrast Kriopes
kleiner Sohn, den Nella mit sich in den Kalendio-Wagen genommen hatte, wo er
nun alle zur Verzweiflung trieb. Mit dem Geheul vermischte sich immer wieder
Brogues Gesang, der von weiter hinten erklang – nicht gerade ein erfreuliches
Duett. Und heute nahm kein grölender jukannai -Chor Brogues Verse auf. Alle
wollten nur so schnell wie möglich in die Stadt kommen.
Dann ordnete der Chef an, dass sie die letzte Meile
mit Musik zurücklegten – vermutlich konnte er die Mischung aus Geheul und
Gesang auch nicht länger ertragen. So gingen Brogue, John, Firn und Haminta
voran, um Halmyre und Umgebung auf die glorreiche Ankunft des Stern von
Montagu einzustimmen. Und James, zum ersten Mal allein auf einem
Kutschbock, hoffte nur inständig, dass der Gilloc schon wusste, was er zu tun
hatte.
Die riesige Hecke bestand aus Feuerdornbüschen, die
dicht mit reifenden Beeren besetzt waren, und umschlang die Krone der
darunterliegenden Steinmauer mit Wurzeln, die dick wie sehnige Arme waren. Die
Steinbrocken waren mit rotbraunem Lehmputz aufgefüllt, der in der Sonne
blinkte.
Während der Chef mitsamt seiner Kapelle durch das
Stadttor verschwand, um die Erlaubnis einzuholen, räumten die übrigen Wagen die
Straße und hielten entlang der Mauer. Deren Blinken erklärte sich von nahem
durch unzählige glasierte Täfelchen und Plaketten, Münzen und Amulette, die in
den Putz gedrückt worden waren. James entdeckte sogar Knochen und getrocknete
Eidechsen, als er den Wagen endlich nah genug an die Mauer herangelenkt hatte. Hilf
uns! las er in schwarzen Buchstaben auf einem Knochensplitter. Er musste
den Kopf in den Nacken legen, um zu den Standarten hinaufzusehen, und konnte
doch die Figuren nicht erkennen, die auf ihren Spitzen steckten. Nur das tiefe,
hohle Pfeifen, das der Wind ihnen entlockte, und ein Rasseln wie von
Klapperschlangen drangen bis zu ihm hinunter.
„Die Eidechse ist ein Sonnentier, eins von Larennis
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