Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
zu laut sprechen! Kumatai hilft lieber im Verborgenen!“ Und
damit verließ sie den Wagen. Ein perfekter Abgang.
James und Halfast sahen sich an. „Es ist gegen das
Gesetz, oder?“, fragte James leise.
„Solange es hilft …“, meinte Dionyssu.
6
Der
große Marktplatz von Halmyre war zu dieser Nachmittagsstunde voller Leben. Auch
hier gab es einen Suq mit festen Ständen, die sich um den üblichen Glockenturm
gruppierten, und köstliche Düfte nach Gebratenem und Gebackenem stiegen den
ausgehungerten Peregrini in die Nasen. Die Leute waren zum Teil städtisch
gekleidet wie in Rhondaport oder Windywatt und sahen den einfahrenden Wagen
ebenso neugierig wie argwöhnisch hinterher. Am Rand des Suqs pries ein Mann
lauthals seine Kunstfertigkeit im Zähneziehen an, und zwei andere predigten
ganz in der Nähe den Untergang der Welt – das waren Fahrende wie sie selbst,
die mit abschätzenden Blicken ihren Einzug in Halmyre verfolgten. Vor einem
kleinen Gebäude mit dem Schild Tantaleida Minengesellschaft lungerten
Arbeiter herum, einige hockten auf der Mauer vor dem Haus und aßen und
betrachteten das Treiben auf dem Marktplatz mit mürrischen Mienen. Sie alle
trugen schwarze Kapuzenwesten über dunkelgrünen Hemden und Hosen, wie eine
Uniform.
Dieser Markt war ein wunderbarer Platz für
Vorstellungen. Direkt um den hohen, quadratischen Glockenturm herum war ein
bühnenartiges Podest aus Holzbohlen errichtet, das als freie Fläche über die
Suqstände hinausragte und für alle Arten von Vorführungen wie geschaffen
schien. Dass dazu auch weniger angenehme Schauspiele gehörten, ließ der Pranger
an der Südseite erahnen. An dieser Seite war der untere Teil des Turms
vergittert, und hinter den Gittern hatte James reglose Gestalten und stumpf
blickende Gesichter ausgemacht. Mit einem unbehaglichen Schauder wurde ihm auf
einmal bewusst, in welche Lage sie heute Morgen in Fendurnen hätten geraten
können – und wie furchtbar wenig er immer noch über die Sitten in Salkurning
wusste.
Sie standen jetzt schon eine ganze Weile hier vor dem
Haus des Winkelmeisters und warteten, ohne eigentlich zu wissen, worauf. Die
Erlaubnis war ja längst erteilt, der Chef hatte sie alle mit Humtata in die
Stadt einziehen lassen. Aber als sie gerade anfangen wollten, sich auf dem
Podest für die Vorstellung einzurichten, war der Winkelmeister herausgekommen und
verlangte noch einmal mit dem Chef zu reden.
Schon um sich von dem Geruch nach bratendem Schwein
und seinem Hunger abzulenken, sah James sich weiter um. Neben dem
Winkelmeisterhaus befand sich ein großes, flaches Gebäude, dessen gesamte
Vorderfront aus übereinandergestapelten Käfigen bestand. Ein kalkartiger,
trockener, unangenehmer Geruch und ohrenbetäubendes Gurren gingen davon aus,
und Halfast erklärte, dass die Käfiginsassen Posttauben waren.
„Wenn du Nachrichten aus einem bestimmten Ort
erwartest, stellst du deine Tauben bei der Poststation unter, die diesem Ort am
nächsten liegt. Dann kann der Postmeister dir alles mit deinen Tauben
zuschicken.“
„Und was, wenn ich nicht weiß, woher meine Post kommen
wird?“
„Wenn keine Tauben für den Empfänger da sind, geht der
Brief mit dem Postreiter weiter. Von denen sind heute einige an uns
vorbeigekommen. Aber die Tauben sind viel schneller. Manche von denen fliegen
von Rhondaport bis Ligissila in knapp zehn Stunden, hab ich gehört. Das sind
über sechshundert Meilen!“
Das plötzliche Einsetzen des Glockengeläuts über ihnen
machte ihrer Unterhaltung ein Ende. Es war so laut, dass die Tauben in ihren
Käfigen aufflatterten. Während die Gilwissel den Lärm mit stoischer Ruhe
hinnahmen, führten sich die Hunde wie die Verrückten auf. Sie kläfften gegen
das Läuten an, als könnten sie es niederbellen. Die paar neugierigen Städter,
die sich ihren Wagen schon genähert hatten, wichen sicherheitshalber wieder
zurück. Und der Chef kam aus dem Winkelmeisterhaus. Sein finsteres Gesicht
verhieß nichts Gutes. Als das Glockengeläut endlich ausklang, wandte sich
Montagu an seine Leute. „Wir ziehen ab“, sagte er barsch.
„Was?! Aber –“
„Was ist denn los? Wir hatten die Erlaubnis doch
schon!“
„Wir haben eine angebrochene Deichsel! Wir müssen das
erst reparieren!“
„Und wir haben eine Verletzte“, fügte James leise
hinzu.
„Ruhe! Der Winkelmeister hatte seine Erlaubnis
gegeben, bevor er von – gewissen Ereignissen wusste.“
„In Fendurnen hat es Schwierigkeiten mit
Weitere Kostenlose Bücher