Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
das Theater losgezogen
sind. Das ist doch voll Scheiße! So was kann die nicht machen!“
„Bist du ganz sicher?“
„Bin ich. Aber ich kann’s mir nicht mit Jakobe
verderben. Deshalb sag ich’s dir. Jetzt kannst du ja was dagegen machen.
Als Hakemi.“
Entzückend. Und was?? Die alte Hexe zur Rede stellen? Wenn
er sich da einmischte, würde das Orla doch nur noch mehr Schwierigkeiten
einbringen.
Pix musterte ihn höhnisch. „Dachte ich mir schon, dass
du Schiss vor der Alten hast. Komm jetzt, Orla!“ Sie zog sie am Arm mit sich,
und wieder musste er sie gehen lassen, ohne das Rätsel gelöst zu haben.
Er sah sich nach einem falterfreien Platz um, wo er
sich hinsetzen konnte. Denn setzen musste er sich. Mann! Er war so knapp davor
gewesen, dieses total fremde Mädchen einfach an sich zu reißen! Drehte er jetzt
völlig ab? Eine Erinnerung zuckte in ihm auf: Er selbst, siebzehn Jahre alt, am
ersten Schultag nach den Sommerferien in der Schülerherde durch die Gänge
treibend – und dann hatte sie dagestanden, an einem Treppenaufgang. Sie redete
mit Meadows, dem Spanischlehrer, und ihr offenes Haar, das die Farbe von
dunklem Gold hatte und auch so einen matten, schweren Glanz, bedeckte den
ganzen Rücken ihrer blauen Jeansjacke und noch die Hälfte des Blusensaumes, der
darunter hervorsah. Weiß mit Blümchenmuster, winzigen grauen Rosen, und mit so
einer Rüschenkante dran, er wusste es heute noch. Sein erster Blick auf Karen,
und er war hin und weg gewesen. Fast so hatte es sich eben auch angefühlt.
Und für einen Moment war er plötzlich ganz sicher,
dass das alles hier nur ein Fiebertraum war, ein Traum, in dem spielende Kinder
den Treppenstufen-Vers sangen, in dem Karen als geheimnisvolle Fremde in Not zu
ihm zurückkam und Adrian als messerwerfender Hedonist. Weil er mit dem Verlust
der beiden nicht klarkam. Weil er eben doch durchgedreht war. Sekundenlang war
diese Empfindung so stark und sehnsüchtig, dass sie sich wie ein Krampf
anfühlte. Er wollte es so sehr! Wenn es doch nur so sein könnte!
Schließlich öffnete er mit einer bewussten Anstrengung
die geballten Fäuste, atmete tief aus und stellte fest, dass der Krampf ganz
real war und die Folge massiven Trukvister-Konsums. Und dass er leider nicht
verrückt genug war, um sich selbst von einer solchen Sichtweise der Dinge
überzeugen zu können. „Du bist vom Glockenturm gefallen, Schatz“, sagte er
zynisch zu sich selbst und stand auf.
Abgesehen von seinen unpassenden Gefühlen – was war da
eben gelaufen? Was konnte das sein, was sie ihm sagen wollte? Und warum wollte
ihre Mutter nicht, dass sie sprach? Das war doch total krank!
Aber sie hat auch gesagt, dass mit ihr alles in
Ordnung ist, erinnerte er sich. Diese Hochzeit ist okay für sie, und das klang
wie die Wahrheit. Also Schluss mit dem Blödsinn! Sie muss nicht gerettet
werden! Und was sie sagt, hat nicht wirklich einen Bezug zu mir. Sie meint gar
nicht mich. Sie ist süß und alles, sieht ein bisschen aus wie Karen – aber die
Wahrheit ist einfach, dass sie nicht ganz klar im Kopf ist. Padauni .
Beeinträchtigt. Wer weiß, warum. Sauerstoffmangel bei der Geburt, irgendein
Trauma. Bei uns wäre das schnell geklärt. Hier ist es eben – geheimnisvoll.
Wenigstens hatte Halfast endlich aufgehört mit dem
Geigen. Es war Zeit für eine Erfrischung. Dieser Bach war sicher nicht nur zum
Reinkotzen gut.
2
Als
er eine Weile später den Innenhof betrat, war es taghell und stechend warm.
Nichts zu spüren von der verwunschenen Atmosphäre, die über dem Obstgarten
gelegen hatte. Zwei Jungen zogen mit einem großen Fass auf Rädern über den Hof
und wässerten das grüne Rasenquadrat. Es roch nach frischem Brot und
Räucherwurst, was ihm in seiner momentanen Verfassung den Magen umdrehte. Er
brauchte schwarzen Kaffee. Nach dem Bad im Bach fühlte er sich schwach und noch
frösteliger, aber wenigstens wieder klar im Kopf. Im Wagenlager hatte es
nirgends nach Frühstück ausgesehen. Stattdessen großes Palaver am
Ulgullen-Wagen, wo die neue Deichsel eingebaut wurde. Und Kriopes Karren war
weg, weshalb er jetzt auf der Suche nach seiner Patientin war. Im Schatten des
überdachten Rundgangs kam ihm plötzlich Halfast entgegen. Fast zwei Meter groß,
das war schon richtig. Aber anders als sein Zwillingsbruder nicht wuchtig,
sondern eher schlaksig. Wie der Chef ein wenig gebeugt in den Schultern. Das
war also der Mann, dessen Name Orla die Tränen in die Augen getrieben hatte und
der
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