Formbar. Begabt
seiner Nähe durchlaufen, nur ein?
Seit dem Nachmittag in der Kaffeebar laufen wir uns wirklich andauernd über den Weg. Und dann ständig diese Flaschendreh-Geschichten! Am Abend der Party sagte Denise doch selbst, dass Jan solche Aktionen peinlich fände. Wieso taucht er aber ständig auf und macht mit? In einen See zu springen ist nicht gerade die überzeugendste Art des Boykotts.
Ich werde ruckartig aus meinen Überlegungen gerissen, als sich Jan von mir abwendet und aufsteht. Mit einem knappen »Für mich reicht das heute Abend« verabschiedet er sich und lässt mich irritiert am Feuer zurück. Nach kurzer Zeit ist er in der Dunkelheit verschwunden. Den Rest unserer Gruppe stört sein Aufbruch nicht, aber bei mir will keine rechte Partystimmung mehr aufkommen. Mein Verstand ist so überladen von Eindrücken, die ich verarbeiten muss, dass ich bei meiner nächsten Aufgabe einen Handstand mache und dabei durch einen Strohhalm Wein trinke, ohne es richtig zu registrieren.
Als wir uns schließlich von den Jungs verabschieden und in unsere Schlafsäcke kriechen, simuliere ich Müdigkeit und täusche mit regelmäßigen, tiefen Atemzügen einen Blitzschlaf vor. In meinem Kopf herrscht jedoch nach wie vor Aufruhr. Die Gedanken drehen sich weiter im Kreis. Jans plötzliches Auftauchen. Sein Körper im Mondlicht. Die Gefühle, welche die Minute Blickkontakt in mir ausgelöst hat. Die Härte und die Ablehnung in seinen Augen. Immer wieder frage ich mich, ob ich Chancen nicht ergriffen habe. Wie können unsere Treffen gleichzeitig durch den Zufall begünstigt sein und trotzdem immer so schrecklich falsch ablaufen? Müssten wir uns nicht lachend über die Launen der Natur amüsieren, die uns jedes Mal unter den unmöglichsten Voraussetzungen zusammenführt?
Ich verbringe eine alles andere als erholsame Nacht, angefüllt mit wirren Träumen, und bin froh, als ich rings um das Zelt herum das Zwitschern der Vögel höre, die den neuen Tag begrüßen.
***
Ich erinnere mich an die erste bewusste Verwendung meiner Gabe als wäre es gestern gewesen. Gerade erst fünfzehn Jahre alt und doch mit einer Macht ausgestattet, auf die wohl kein Anderer in meinem Alter Zugriff hatte.
Die Macht, durch den bloßen Gedanken Menschen zu manipulieren, die Realität zu verändern.
Die Macht über Leben und Tod.
An diesem Nachmittag lief der kleine und ewig störende Nachbarsjunge zum wiederholten Male hinter mir her, und sein vorlautes Mundwerk stand nie still. Das Einzige, was ich mir wünschte, war Ruhe.
Genussvoll stellte ich mir vor, wie ich den Kleinen mit einer Hand am Hals packte, ihn emporhob, an die Steinwand hinter mir drückte und langsam seinen Kehlkopf zusammenpresste, bis ich seine Knorpel knacken hörte. In dieser befriedigenden Vorstellung gefangen bemerkte ich sein Röcheln nicht, sodass jede Hilfe für den Jungen zu spät gekommen wäre, vorausgesetzt, ich hätte irgendeinen Anteil an seinem Schicksal genommen.
Endlich erhielt ich die Bestätigung eines schon lang gehegten Gedankens. Ich war etwas Besonderes, anders als die anderen Menschen: besser.
Desweiteren wurde der unglückliche Todesfall niemals aufgeklärt, wodurch ich mich komplett der Erforschung meiner neu entdeckten Fähigkeit hingeben konnte.
6
Bemerkenswert
Endlich wachen auch meine Freundinnen auf, sodass wir nur wenig später in den ersten Sonnenstrahlen sitzen und gemeinsam unser Frühstück zu uns nehmen. Laro hat den gleichen entrückten Gesichtsausdruck, der mir schon gestern an ihr aufgefallen ist, was natürlich auch den anderen nicht entgeht. Ihre Beteuerungen, die Mimik stünde in keinem Zusammenhang mit Lucas, stoßen bei Viv und Jasmin auf taube Ohren. Im Gegenteil, die Späße auf ihre Kosten nehmen weiter zu. Laro scheint sich jedoch nicht daran zu stören, und als ich versichere, dass ich direkt von Anfang an das Gefühl hatte, Lucas würde sich für sie interessieren, strahlt sie über beide Ohren.
Während die anderen Mädchen weiterhin fröhlich durcheinander reden, denke ich nach. Viv ist diejenige, die mich schlagartig zurückholt. »Richtig verrückt war gestern die Sache mit der Flasche, oder? Ich könnte schwören, dass sie an etwas gestoßen ist, aber da war nichts...«
Laro winkt ab. »Gestern erschien es mir auch so, aber mittlerweile glaube ich echt, dass wir einfach zu viel Wein intus hatten. Ich meine, wie soll das passiert sein? Die Einwirkung eines Geistes, der die Flasche auf unheimliche Art und Weise stoppt?«
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