Formbar. Begabt
überblicken die bewegungslose, nachtschwarze Wasseroberfläche. Ich verspüre nun doch einen Funken Bedauern; das Wasser muss zu dieser Jahreszeit eisig sein.
Jan tritt unbeeindruckt an das Ufer und entledigt sich seiner Schuhe samt Socken. Ich muss mich schwer zusammenreißen, um ihn nicht mit offenem Mund anzustarren. Er fasst den unteren Saum seines Shirts und zieht es mit einer fließenden Bewegung über den Kopf. Für einen kurzen Moment steht er reglos da, als würde er nachdenken, dann lässt er das Longsleeve achtlos zu Boden fallen. Der Anhänger auf seiner Brust, ein seltsam gedrehtes Metallband, glänzt hell im Mondlicht. Die Gespräche und das Gekichere der anderen habe ich ausgeblendet. Meine Wahrnehmung beschränkt sich ausschließlich auf Jan. Er hätte seine Aufgabe auch mit Kleidern bewältigen können. Sicherlich hat er im Zelt genügend Wechselklamotten liegen. Aber nein, er muss sich natürlich ausziehen und meine Zurechnungsfähigkeit auf eine harte Probe stellen. Er schnallt seinen Gürtel auf und öffnet den Knopf seiner Jeans. Mit einer nachlässigen Bewegung zieht er die Hose über die Hüften und streift sie dann vollends ab. Tatsächlich, er trägt schwarze Boxershorts, allerdings die enge Variante. Mir wird bewusst, wohin ich gerade starre. Mühsam und unter Aufbietung meiner kompletten Selbstbeherrschung wende ich den Blick ab.
Jan dreht leicht den Kopf und lächelt mich spöttisch an. Scheinbar kann man mir sämtliche Gedanken förmlich vom Gesicht ablesen. Okay. Erwischt. Mal wieder.
»Na los, Jan! Worauf wartest du noch? Das Wasser wird nicht wärmer, zumindest nicht mehr heute Nacht!« Die anderen feuern ihn mit lauten Rufen an. Er wendet sich dem Gewässer zu, taxiert kurz die schimmernde Oberfläche und springt, ohne weiter zu zögern, mit einem eleganten Kopfsprung in den See. Die dunklen Wellen schlagen über ihm zusammen, und er verschwindet in der Tiefe.
Was, wenn es unten Schlingpflanzen gibt? Oder wenn der See in Ufernähe nicht tief genug für einen Köpfer ist?
Ein paar Sekunden bin ich vor Angst wie gelähmt und male mir die schlimmsten Szenarien aus, dann durchbricht Jans dunkler Haarschopf wieder die Wasseroberfläche. Er schwimmt das kleine Stück, das er durch den Sprung überwunden hat, zurück zum Ufer und zieht sich an Land. Bevor er sich in die mitgebrachten Handtücher hüllt, kann ich noch einmal seinen sportlichen Körper bewundern. Anschließend schaffe ich es tatsächlich, mit den anderen ein wenig rumzuflachsen, während Jan seine Kleider wieder überstreift.
Ganz egal, wie der restliche Abend noch verläuft, schon allein für diesen Anblick hat sich der komplette Zeltausflug gelohnt! Was ich in den letzten zwanzig Minuten gesehen habe, reicht, um meine Fantasie mindestens für die nächsten zwei Wochen auf Hochtouren laufen zu lassen.
Kurze Zeit später sitzen wir am Feuer und nehmen das Spiel wieder auf. Die kommenden Runden bin ich also erneut damit beschäftigt zu hoffen, dass die Flasche auch weiterhin Gnade zeigt und mich vor peinlichen Situationen bewahrt.
Das geht so lange gut, bis Jasmin eine Frage aus der Schüssel fischt, die mich total aus dem Konzept bringt.
»Setze dich neben dein Gegenüber und schaue ihm eine Minute lang in die Augen.«
Ungewollt zuckt mein Blick zu der Person, die mir auch nach dem Ausflug an den See noch gegenüber sitzt: Jan. Im selben Moment hebt auch er den Kopf und schaut mich über das Feuer hinweg an. Mein Herz beginnt zu rasen, und ich kämpfe mit plötzlicher Atemnot. Ich drehe mein Gesicht weg. Das halte ich keine zehn Sekunden aus, geschweige denn eine Minute. Diese Aufgabe ist lächerlich, wenn man sie mit Freunden spielt. Viv eine Minute lang anstieren – kein Problem. Auch Marius und Lucas könnte ich niederstarren. Aber mit Jan als Partner erscheint sie mir eher wie eine moderne Art der Folter. Wegschauen kommt nicht in Frage. Spätestens dann ist allen klar, wie es um mich steht. Vielleicht habe ich Glück und der Hals zeigt auf Laro, auf Viv, auf irgendwen, es ist mir völlig gleich!
Jasmin dreht die Flasche mit Schwung, und die Aufmerksamkeit aller ist auf das grüne Glas gerichtet, das im Feuer schimmert. Ich bin so hysterisch, dass ich fast vergesse Luft zu holen. Werde ich wieder verschont bleiben?
Dieses Mal nicht. Jede Begegnung mit Jan war bisher eine Blamage. Dieser Abend lief einfach zu gut. Ich werde ihm standhalten müssen.
Immer weiter steigere ich mich in meine Panik hinein.
Die
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