Formbar. Begabt
kennt mich einfach zu gut. Blöd nur, dass ich mir im Vorhinein keine einzige Floskel überlegt habe, mit der ich dieses kuriose Gespräch einleiten kann. Ich öffne den Mund und schließe ihn wieder, ohne etwas zu sagen.
»Geht es um Jan? Falls du darüber reden möchtest: Ich finde es auch mehr als seltsam, dass er ständig und überall auftaucht. Ob aber Interesse an dir besteht, das ist schwer zu beurteilen. Denn die Blicke, welche er dir zuwirft, sind teilweise wirklich übel.«
»Viv, es geht nicht um Jan. Mir ist etwas Befremdliches aufgefallen, und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.«
Viv sagt nichts. Sie schaut mich einfach an. Ein weiterer Punkt, den ich an meiner besten Freundin toll finde: Sie setzt mich nicht unter Druck und lässt mir die Zeit, die ich brauche. So kann ich mir in Ruhe die Worte zurechtlegen, die meine Beobachtung auf verständliche Art und Weise beschreiben.
»Du erinnerst dich an das Flaschendrehen auf Miris Party? Die Flasche hielt plötzlich an und zeigte auf mich, woraufhin ich mich fast hochgradig blamiert hätte.«
Viv lacht und nickt. »Genau! Nur Denise konnte dich vor der Schmach bewahren.«
»Ist dir auch aufgefallen, dass wir gestern ein ganz ähnliches Erlebnis hatten, als die Flasche entschieden hat, wer eine Minute lang Blickkontakt halten muss?«
Viv reißt die Augen auf. »Ja sicher! Was für eine Frage! Ich konnte die halbe Nacht nicht schlafen, weil ich die ganze Zeit überlegt habe, wie das plötzliche Anhalten der Flasche zu erklären ist.«
Ein Glück, immerhin muss ich nicht auch noch die gestrige seltsame Situation wieder aufwärmen.
»Ich denke, das lag an mir. Ich habe die Flasche angehalten.«
Jetzt ist es raus. Vivs Augen werden noch größer als zuvor.
»Und wie hast du das gemacht? Es sah total echt aus. Ich hätte schwören können, dass die Flasche in der Bewegung angehalten wurde, ganz plötzlich! Du hättest mir auch vorher sagen können, dass du einen solchen Trick planst.«
Das hätte ich mir denken können. Sie hält es für einen großartigen Zaubertrick, den ich ausprobiert habe. Gewissermaßen ist es das auch. Wahrscheinlich kann sie nur eine Demonstration überzeugen.
»Nein, kein Trick! Ich glaube, dass ich die Flasche mittels Gedankenkraft angehalten habe.«
»Gedankenkraft.«
»Wenn ich mich ganz stark konzentriere und mein komplettes Denken auf die Flasche ausrichte, kann ich die Richtung, in die der Hals weist, bestimmen.«
Viv setzt zu einer Antwort an. Schnell spreche ich weiter und ziehe dabei eine leere Weinflasche aus dem Rucksack. Die Wasserflasche habe ich ja in einem Anfall geistiger Umnachtung in den See geschleudert. »Warte, ich zeige es dir. Ich werde sie hier in Bewegung setzen und danach auf dich deuten lassen. Sag nichts, schau einfach zu.«
Mit einer fahrigen Bewegung stoße ich die Flasche an und denke »Zeig auf Viv! Na los, zeig auf Viv!«.
Mein Demonstrationsobjekt dreht sich schnell im Kreis und wird schließlich immer langsamer und langsamer, bis es schließlich zum Stehen kommt. Der Hals zeigt Richtung Viv, zumindest mit ein wenig gutem Willen.
»Hannah, wirklich beeindruckend, aber das sah mir eher nach Zufall aus.«
Mann, ist das peinlich. Vorhin hat es doch funktioniert und mein Wunsch war zu diesem Zeitpunkt auch nicht größer als es jetzt der Fall ist.
Nochmal!
Verbissen schubse ich die Flasche an, die wieder vom schnellen Kreiseln ins langsame Trudeln übergeht und schließlich auf den See zeigt. Ein kurzer Blick auf Viv bestätigt mir, dass sie die ganze Vorführung äußerst amüsant findet.
»Für einen Moment hatte ich dir echt geglaubt, dass du das Flaschendrehen gestern Abend manipuliert hast, Scherzkeks.«
Schon oft habe ich mich beim Lesen meiner geliebten Fantasy-Bücher gefragt, warum der ansonsten zurechnungsfähige Protagonist sich keinem mitteilt, nachdem er seine besonderen Kräfte entdeckt hat. Jedes Mal, wenn diese typische Geheimniskrämerei losging, war ich genervt und dachte mir, dass doch alles viel einfacher wäre, wenn dieser sogenannte Held einen Freund ins Vertrauen zöge.
Aber nein. Alles Einzelkämpfer, die wahlweise ihre Freunde vor dem Bösen schützen wollen oder einfach Angst vor deren Reaktion haben.
Wie würde ich an Vivs Stelle reagieren, wenn meine beste Freundin plötzlich behaupten würde, besondere Kräfte zu haben und Flaschen durch Gedankenkraft stoppen zu können?
Insgeheim würde ich mich fragen, ob sie einen Schlag auf den Kopf
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