Formbar. Begabt
unglaublich. Heute Mittag war ich wirklich davon überzeugt, dass du mich auf den Arm nehmen willst. Du hättest auch sagen können, dass du es wirklich ernst meinst. Mir kam dein Themawechsel schon merkwürdig vor, aber ich hätte nie erwartet, dass –«
»Ich glaub's ja selbst kaum. Kannst du dir vorstellen, wie ich mich heute Morgen gefühlt habe, als ich mit dem ganzen Gewicht dieser Entdeckung alleine am Seeufer saß? Es ist so unwirklich.«
Stumm sitzen wir uns gegenüber, denn ich möchte Viv die Zeit geben, diese Einsicht zu verarbeiten – oder es zumindest zu versuchen.
Unvermittelt hören wir Laros Stimme aus dem Nachbarzelt. »Sagt mal, was treibt ihr beiden eigentlich? Ihr habt jetzt schon bestimmt seit einer Viertelstunde die Festbeleuchtung an. Schon auf die Idee gekommen, dass hier nebenan jemand schlafen möchte, der sich durch euer Lichterfest gestört fühlen könnte?«
Schnell rufen wir eine Mischung entschuldigender Erklärungen (»Viv sucht ihre Taschentücher!«) nach drüben und schalten dann schnellstmöglich das Licht aus – auf herkömmlichem Wege. Dennoch ist an Schlaf nicht zu denken. An Experimente leider auch nicht. Ich bin trotz unseres Mittagsschläfchens am See so müde, dass ich keine Konzentration für weitere Wunder aufbringen kann. So reden wir noch bis spät in die Nacht und schlafen schließlich erschöpft ein.
***
Es erscheint mir eigenartig, dass der normale Mensch stets das Bedürfnis hat, mit seinen Fähigkeiten zu prahlen und sich im strahlenden Licht der Bewunderung seiner Mitmenschen zu sonnen.
Ist es wirklich notwendig, die eigenen Pläne mit anderen zu teilen? Wie kann Geschwätzigkeit von Nutzen sein?
8
Begabt
Als ich am nächsten Morgen aufwache, kommen mir die Erlebnisse des gestrigen Tages wie ein merkwürdiger Traum vor. Mittels Gedankenkraft Flaschen anhalten, Lampen einschalten und durch die Luft fliegen lassen?
Ein Blick auf Viv zeigt mir, dass diese noch von schönen Träumen umfangen ist. Zumindest sind ihre Lippen zu einem leichten Lächeln verzogen, was ihre Züge weich und entspannt wirken lässt. Allmählich könnte sie wirklich aufwachen. Dadurch erfahre ich am schnellsten, ob ich Blödsinn zusammengeträumt habe, und wir können gemeinsam darüber lachen.
Na los, Viv! Aufwachen!
Sie schlägt die Augen auf.
Ach du Schande, war ich das? Habe ich sie mittels Gedankenkraft zum Aufwachen animiert?
»Guten Morgen!« Gähnend setzt sie sich auf. »So ein schöner Traum und dann bin ich urplötzlich wach. Schade, ich hätte gerne noch etwas mehr Zeit in Tills Armen verbracht.«
Ich grinse verschmitzt. »Das erklärt zumindest den entrückten Gesichtsausdruck!«
»Hey, beobachtest du mich etwa beim Schlafen?«, fragt Viv entrüstet, lacht aber schon wieder, als sie meine zerknirschte Miene sieht.
Wie auf Kommando sprechen wir beide die Frage aus, die uns beschäftigt:
»Hast du heute Nacht wirklich die Taschenlampe in meine Hand schweben lassen?«
»Haben wir heute Nacht irgendwelche Experimente mit Gedankenkraft und Taschenlampen gemacht?«
Sprachlos starren wir einander an und versuchen uns mit der Vorstellung anzufreunden, dass keine von uns geträumt hat; zumindest nicht was die Taschenlampentricks angeht. Zögernd prüft Viv die Alternativen.
»Gibt es gemeinschaftliche Träume? Ich glaube nicht, oder? Außerdem fühlt sich die Erinnerung verdammt echt an.«
Auch ich bin ziemlich von der Wahrhaftigkeit des Geschehens überzeugt, vor allem, da ich mir einbilde, eben Viv aus dem Schlaf herbeigewünscht zu haben. Leider hat meine Gefühlswelt noch kein Gleichgewicht zwischen »ungemein aufgeregt« und »außerordentlich angsterfüllt« gefunden. Gerade in diesem Moment überwiegt die Furcht.
»Was soll ich jetzt tun? Was stimmt denn nicht mit mir?«
Viv steht auf und läuft gebückt durch das Zelt. »Hannah, keine Panik. Jetzt erstmal langsam. Es ist ja nicht so, als könntest du etwas Schreckliches. Eigentlich ist das doch eine tolle Sache. Ich schlage vor, dass wir jetzt mit Laro und Jasmin frühstücken, gemütlich zusammenräumen und warten, bis mein Vater uns mit dem Auto abholt. Zu Hause angekommen schlafen wir richtig aus und treffen uns morgen früh im Einkaufszentrum auf einen Kaffee, um weiter darüber zu reden.«
»Guter Plan bis auf das Einkaufszentrum. Können wir einen etwas privateren Ort wählen? Außerdem, erinnere dich daran, was letztes Mal in der Kaffeebar passiert ist!« Ich stocke. »Wobei, den Christmas Latte
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