Formbar. Begabt
Blindlings lasse ich mich von ihm den Gartenweg hinunterführen. Von der Berührung strahlt in alle Richtungen Wärme aus.
»Hannah?«
Mir wird bewusst, dass wir vor einem schwarzen Alfa Romeo stehen. Jan hat die Beifahrertür geöffnet und mustert mich abwartend. An dieser Verzögerung ist er selbst schuld, er hätte mich ja nicht direkt anfassen und total aus dem Konzept bringen müssen. Schnell steige ich ein, und Jan schließt die Tür. Sehr zuvorkommend, das muss ich zugeben. Frustriert lasse ich mich in den Ledersitz sinken und gerate schon wieder an die Grenzen meiner Selbstbeherrschung, als sich Jan hinter das Steuer setzt und der frisch-herbe Geruch seines Rasierwassers den Wagen erfüllt. Am liebsten würde ich meine Nase in einem Taschentuch vergraben. So wäre zumindest gewährleistet, dass ich eine halbwegs sinnvolle Konversation betreiben kann.
Komm schon, Hannah! Stell dich nicht so an! Wenn du dich weiterhin von deinen Hormonen steuern lässt, wird es das erste und gleichzeitig letzte Mal sein, dass er mit dir ausgeht!
Jan lässt den Motor an, und ich wage einen kurzen Blick auf sein Profil. Konzentriert blickt er auf die Straße und beißt sich leicht auf die Unterlippe. Ich bewundere seine schmalen Hände, die das Lenkrad so fest umschließen, dass die Knöchel hell hervortreten.
Ist er etwa ebenfalls nervös?
Seine ganze Körperhaltung wirkt angespannt, und sonderlich gesprächig ist er auch nicht. Naja, das war er in meiner Nähe bisher noch nie. Schweigend sitzen wir nebeneinander, und ich empfinde seine Anwesenheit als so intensiv, dass der Aufenthalt in seiner unmittelbaren Nähe fast unerträglich für mich ist. Verzweifelt suche ich nach Gesprächsthemen, aber mein Kopf ist wie leergefegt. Schließlich unterbricht Jan die unangenehme Stille. »Wie ich sehe, seid ihr gut aus der Wildnis zurückgekommen.«
War das nun eine Frage oder eine Feststellung? Mangels Alternativen antworte ich und hoffe, dass sich ein Gespräch ergibt. »Ja, wir wurden von Vivs Vater abgeholt. Ihr wart nur eine Nacht da und seid dann direkt wieder zurück gefahren, oder?«
Jan nickt, ohne dabei seinen Blick von der Straße zu nehmen. Wieder sitzen wir schweigend nebeneinander.
Anstrengend.
Wieso fragt er mich, ob ich mit ihm ausgehe, wenn er augenscheinlich so wenig Interesse an einer Unterhaltung hat?
Ich sollte nicht unfair sein. Vielleicht muss er sich wirklich auf den Verkehr konzentrieren.
Verstohlen betrachte ich ihn aus dem Augenwinkel. Mit sicherer Hand lenkt er den Wagen durch die Innenstadt. Wenige Minuten später parken wir in direkter Nähe des Kinos. Noch bevor ich mit meinen vor Nervosität zitternden Fingern den Gurt gelöst habe, steht Jan schon an meiner Seite und öffnet die Tür.
Ich verlasse das Auto mehr oder weniger elegant und beglückwünsche mich im Stillen dazu, keinen Rock als Abendgarderobe gewählt zu haben. Niemals hätte ich damit so gewandt aussteigen können. Jan schließt meine Tür, und wir betreten gemeinsam das Foyer. Während ich mich ängstlich nach Klassenkameraden oder anderen Bekannten umschaue, geht Jan auf geradem Weg zur Kasse, wo er zwei bereits auf seinen Namen reservierte Karten kauft. Anschließend reiht er sich in die Schlange am Kiosk ein.
»Cola light?«, fragt er mich über eine Schulter.
Ich nicke. Momentan bin ich sowieso in der Stimmung, jeden von ihm vorgebrachten Vorschlag zu akzeptieren. Nun sind wir bereits seit einer knappen halben Stunde unterwegs und haben noch keine fünf Sätze gewechselt.
In einer Viertelstunde beginnt der Film beziehungsweise der Werbeblock, dem man nur schwer entgehen kann, sodass wir uns bereits auf den Weg zu unseren Plätzen machen. Wieder liegt Jans Hand mit einer sanften Berührung auf meinem Rücken und sorgt dafür, dass ich kurz davor bin, ein Fall für den Notarzt zu werden.
Leider erhalte ich auch im Kinosaal keine Gelegenheit zur Regeneration, denn nur eine Armlehne trennt mich von ihm. Verkrampft falte ich die Hände im Schoß, damit mein Ellbogen keinesfalls mit seinem Arm in Berührung kommt. Jan scheint weniger besorgt zu sein. Er legt den Arm auf die Lehne, sodass wir nur wenige Zentimeter voneinander entfernt sind. Diese Fast-Berührung und dazu sein maskuliner Duft, den ich seit der Autofahrt in der Nase habe, sind zu viel für mich. Mein Magen schlägt Salti, und ich frage mich zum wiederholten Male, wie ich diesen Abend überstehen soll.
»Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst
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