Formbar. Begabt
Ich habe eine Ampel manipuliert, allerdings nur meine. Für die Autofahrer änderte sich nichts. Wahrscheinlich war die Ampel für die Fußgänger der gegenüberliegenden Seite nach wie vor rot, denn meine Konzentration galt nur dem Gerät, das ich vor mir sah.
Diese verdammte Kraft. Wie konnte ich so verantwortungslos damit umgehen? Ich muss in der Lage sein, meine Gedankenimpulse unter Kontrolle zu halten. Spätestens nach dieser geradeso abgewendeten Katastrophe muss ich anerkennen, dass ich meine Fähigkeit unbewusst nutze und zu einer Gefahr für meine Umwelt werde.
Diese Sache hätte bei Weitem schlimmer ausgehen können.
***
Die Gabe beeinflusst immer nur diejenigen Aspekte, welche explizit vom Former gewünscht werden, und kann somit eingesetzt werden, ohne direkte Auswirkungen auf ein gesamtes System zu haben.
10
Entfremdet
Zu Hause angekommen begrüße ich meine Mutter und murmle etwas von einem »harten ersten Schultag«. Nett, wie sie ist, fragt sie nicht nach dem Grund meiner Verspätung, sondern schöpft mir eine Portion Gemüsereis auf den Teller und erlaubt zudem, dass ich zum Essen auf mein Zimmer gehe. Gedankenverloren setze ich mich an den Schreibtisch und merke kaum, was ich zu mir nehme. Nachdem ich mir die letzte Gabel in den Mund geschoben habe, greife ich zum Telefon und wähle Vivs Nummer. Hoffentlich ist sie bereits von ihrer Verabredung mit Till zurück. Ich brauche dringend einen Gesprächspartner!
Kurze Zeit später atme ich auf, als ich ihre Stimme am Apparat höre.
»Hey, wie lief dein Mittagessen mit Till? Ich will alles wissen!«
Die nächsten zehn Minuten verbringe ich damit, mich zusammenzureißen und mühevoll auf Vivs Bericht zu konzentrieren. Das bin ich meiner besten Freundin schuldig. Immerhin lief ihr Treffen sehr gut. Till hat die Rechnung übernommen und sie am Wochenende zu einem Filmabend eingeladen. Vermutlich wird er ihr spätestens dann seine Gefühle gestehen. Die Glückliche.
Endlich ergibt sich die Gelegenheit, die neusten Ereignisse im Bezug auf Jan durchzusprechen. Viv ist gebührend beeindruckt. »Er hat dich gefragt, ob du mit ihm ins Kino gehst! Das ist der Wahnsinn! Weißt du schon, was du anziehst?«
Ich seufze. »Nein, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Jans Einladung war nämlich nicht die einzige Begegnung der dritten Art, die ich nach der Schule hatte.«
Kurze Zeit später ist Viv auch über Denise' grandiosen Auftritt im Bilde und wirkt schockiert. »Das klingt ja, als sei sie geradezu über dich hergefallen! Du Arme!«
»Für einen Moment war ich sicher, dass sie sich gleich mit Zähnen und Klauen auf mich stürzen würde.«
Viv lacht. »Wie hast du es hinbekommen, den unausweichlichen Angriff abzuwehren? Hast du sie festgehalten?«
»Nein, das war nicht nötig. Ich habe gesagt, dass ich nie bewusst versucht habe, ihr Jan auszuspannen.«
»Und das hat sie dir geglaubt? Nachdem sie vorher auf dich losgehen wollte?«
Sie hat recht. Wieso hat mir Denise plötzlich geglaubt? Durch Jans Frage sowie das Erlebnis an der Ampel abgelenkt, hatte ich mir kaum Gedanken über den Gesprächsverlauf gemacht. Bis jetzt. Mir wird klar, dass ich Denise mit der Hilfe meiner Fähigkeit dazu gebracht habe, mir zu glauben. Ich habe sozusagen ihrem Gehirn vorgegeben, was sie denken soll.
»Hannah? Bist du noch da?«
»Viv... ich habe Denise mit der Hilfe meiner Kraft manipuliert. Ich habe ihr den Gedanken eingegeben, mir zu glauben.«
Am anderen Ende der Leitung bleibt es still, dann höre ich, wie Viv tief einatmet. »Bist du sicher?«
Ich bejahe.
Wieder schweigt Viv für eine unerträglich lange Weile. Warum habe ich ihr das erzählt? Hatte ich nicht den Vorsatz gefasst, meine beste Freundin so wenig wie möglich zu belasten? Als Viv schließlich zum Sprechen ansetzt, klingt ihre Stimme hart. »Wir hatten deine telepathischen Kräfte in den Ferien überprüft. Kannst du doch Gedanken lesen?«
Obwohl sie es nicht sehen kann, schüttle ich entschieden den Kopf. »Nein! In diese Richtung geht es nicht.«
Viv lacht künstlich. »Na immerhin. Aber wie zur Hölle kommst du auf die Idee, gedankliche Befehle auszugeben? Gibt es weitere Informationen zu deiner Kraft, von denen ich nichts weiß?«
»Ich habe damals gar nicht ernsthaft versucht, das Holzstück zu entzünden. Es wäre mir gelungen.« Erschrocken beiße ich mir auf die Unterlippe. Dieses Detail wollte ich Idiot für mich behalten.
»Du sagtest, es funktioniere nicht«, antwortet
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