Formbar. Begabt
beginnt, an den Rändern zu zerfließen. Die beiden Männer setzen sich in Bewegung und trampeln die Treppe hoch. Vor meinen Augen bilden sich dunkle Flecken.
»Da liegt tatsächlich einer.«
Sie haben ihn gefunden.
Um mich herum wird es schwarz.
***
Zu meinem Ärger musste ich feststellen, dass mir die Gabe trotz der Überlegenheit keine uneingeschränkte Macht bieten kann.
In wenigen Fällen geriet ich beim Ausloten der Grenzen in einen starken Erschöpfungszustand, der als Reaktion auf die unglaublichen Leistungen zurückzuführen war, die ich gerade vollbracht hatte.
16
Ruhelos
Als ich wieder zu mir komme, habe ich hämmernde Kopfschmerzen. Mühevoll versuche ich, meine Augen zu öffnen. Meine Lider sind schwer. Am liebsten würde ich wieder in die Bewusstlosigkeit zurückfallen, so ausgelaugt fühle ich mich. Geschwächt stütze ich mich auf den rechten Unterarm und hebe mit höchster Anstrengung den Kopf. Sofort werde ich von heftigem Schwindel überfallen. Peinigende Stiche bohren sich wie weißglühende Pfeile in meine Schläfen. Mein Mund ist völlig ausgetrocknet, und ich nehme einen unangenehmen Geschmack auf der Zunge wahr. Müde lasse ich den Kopf wieder auf die weiche Unterlage sinken und ein süßlich metallischer Geruch steigt mir in die Nase. Ich bin tatsächlich auf Jans blutigem Pullover ohnmächtig geworden.
Haben sie ihn mitgenommen?
Wie viel Zeit ist vergangen, seit ich das Bewusstsein verloren habe?
Ich muss das Haus so schnell wie möglich verlassen.
Den zusammengeknüllten Pullover unter dem Arm stütze ich mich auf Knie und Handflächen und richte mich unsicher auf. Beim Verlassen des Schrankes zittere ich so heftig, dass ich mich an der Tür festklammern muss und beinahe erneut zu Boden gehe. Bevor ich den Flur betrete, lausche ich angespannt. Es ist völlig still. Mit wackligen Knien taste ich mich durch den Gang in Jans Zimmer. Der Raum ist leer, also verlasse ich das Haus.
Mittlerweile ist es stockdunkel geworden. Von der Stadt höre ich leise den verwehten Klang der Kirchturmglocke, die neun Mal schlägt.
Spätbadetarif. Sollte tatsächlich jemand mit Jan im Schwimmbad verabredet sein, so wird er heute vergeblich warten.
Kraftlos mache ich mich auf den Heimweg, die gesamte Konzentration darauf gerichtet, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Jans Elternhaus befindet sich so weit außerhalb, dass es keine Straßenlaternen gibt. In völliger Dunkelheit schleppe ich mich durch die Weinberge und schaue nur abundzu auf, um sicherzugehen, dass ich auf die Lichter der Stadt zulaufe. Jans Pullover habe ich wie einen Rettungsanker an meine Brust gedrückt.
Ich fühle mich vollkommen leer. Die Nutzung der Kraft hat mich ausgehöhlt, mir meine Energie geraubt. Was ich zuvor nur als leichten Anflug von Müdigkeit wahrgenommen hatte, traf mich nun mit voller Härte. Bereits nachdem ich Jan weggeschleudert hatte, fühlte ich mich schwach. Die Heilung und der anschließende gedankliche Befehl an die Sanitäter waren zu viel für mich. Ich habe die Warnsignale ignoriert und muss nun dafür büßen. Meine Macht ist also nicht unendlich. Ich habe die Grenzen gefunden. Wie betäubt wanke ich die Straße entlang. Die undurchdringliche Schwärze befindet sich nicht nur um mich herum, sondern auch in meinem Innern. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen.
Stunden später, es muss kurz vor Mitternacht sein, komme ich völlig ausgelaugt zu Hause an. Meine Schuhe halte ich in der Hand, weil sie irgendwann so drückten, dass davon sogar die Gleichgültigkeit in meinem Kopf überstrahlt wurde. Nun habe ich zwar keine Blasen, aber meine bloßen Füße sind total zerschunden. Meine Kleider, die von Jans Blut steif und verkrustet sind, kratzen unangenehm auf meiner Haut. Sein Pullover fühlt sich mittlerweile klamm in meinen Händen an.
Nach mehreren Versuchen schaffe ich es, die Haustür aufzuschließen. Glücklicherweise bleibe ich unentdeckt, als ich mich erschöpft und völlig verdreckt am Wohnzimmer vorbeischleiche und die Treppe hinaufschleppe. Im Bad trenne ich mich zögernd von Jans Pullover, schäle mich aus meinen ruinierten Kleidern, verstaue alles in einem Plastikbeutel und wickle das gesamte Bündel in ein Handtuch, um es bis zur nächsten Müllabfuhr in meinem Zimmer zu verstecken. Anschließend stelle ich mich unter die Dusche und wasche die Spuren des grässlichen Tages ab.
Während das heiße Wasser auf mich prasselt, löst sich plötzlich die Sperre in mir. Ich lasse meinen
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