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Formbar. Begabt

Formbar. Begabt

Titel: Formbar. Begabt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juna Benett
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dabei gewesen wäre, könnte ich es selbst nicht glauben.
    Ich bin so müde.
    Wie in einem stillosen Krimi lege ich den Saum meines T-Shirts über den Hörer. Direkt als sich am anderen Ende jemand meldet, gebe ich flüsternd die nötigen Informationen und lege auf, bevor Rückfragen gestellt werden können.
    Todmüde.
    Unkontrolliert wanke ich die Treppen nach unten und öffne die Haustür.
    Ausruhen. Ich muss schlafen.
    Nein. Ich muss sichergehen, dass Jan versorgt wird. Statt zusammenzubrechen, schleppe ich mich wieder ins obere Stockwerk. Dort schaue ich mich nach einem geeigneten Versteck um, in dem ich unbemerkt warten und kontrollieren kann, ob er gefunden wird. Meine Wahl fällt auf den fast leeren Kleiderschrank im perfekt aufgeräumten Schlafzimmer seiner Eltern. Mit jeder Sekunde verliere ich mehr Energie. Ich fühle mich wie eine leere Hülle. Ich bin so erschöpft.
    Am Ende.
    Jan.
    Mit aller Macht konzentriere ich mich auf seinen Namen.
    Ich darf nicht einschlafen. Ich muss dafür sorgen, dass er Hilfe erhält.
    Mit letzter Kraft wanke ich in sein Zimmer zurück, stütze mich auf die Fensterbank und lehne meine Stirn gegen das kühle Glas der Scheibe.
    Das Blut.
    In meinem Magen bildet sich ein kalter Knoten. Bei dieser Menge werden die Sanitäter nicht zögern, die Polizei zu benachrichtigen. Vor allem, da bei Jan keine sichtbaren Verletzungen erkennbar sind. Niemals werde ich schnell genug das Haus verlassen können. Wenn ich warte, bis das Rettungsteam eintrifft, habe ich keine Chance mehr, ungesehen zu verschwinden.
    Mein Sichtfeld verschwimmt. Ich blinzle mehrmals und versuche, meine Augen wieder scharf zu stellen.
    Ich kann Jan jetzt nicht alleine lassen.
    Erneut falle ich neben ihm auf die Knie und mustere den durchweichten Teppichboden. Obwohl kein neues Blut hinzukommt, wirkt der dunkle Fleck unter ihm größer.
    So viel Blut. Ich muss es aufwischen. Hektisch lasse ich meinen Blick durchs Zimmer schweifen und entdecke einen hellgrauen Kapuzenpullover, der über dem Schreibtischstuhl hängt. Schnell stehe ich auf und suche an der Tischkante Halt, weil mir schwarz vor Augen wird. Als ich mich wieder gefangen habe, nehme ich das Kleidungsstück und drücke es vorsichtig auf den feucht glänzenden Teppich.
    Kein Erfolg. Natürlich nicht.
    Das Zeug muss weg.
    Während ich wie besessen mit dem Pullover über den Boden schrubbe, laufen mir die Tränen hinunter. Ich kann Jan nicht in seinem Blut liegen lassen. Mit dem Unterarm wische ich mir ein paar verklebte Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ich kann nicht mehr. Verzweifelt richte ich mich halb auf und starre das verfluchte Blut an, das sich mittlerweile überall zu befinden scheint. Es wird einfach nicht weniger.
    Sauge das Blut auf.
    Von Schwindel überwältigt schaffe ich es nicht mehr, mich aufrecht zu halten, und kippe zur Seite. Mein Kopf schlägt unsanft auf den Boden. Statt gerinnender Feuchtigkeit fühle ich trockene, weiche Fasern unter meiner Wange.
    Ich öffne die Augen.
    Der Teppich ist makellos sauber. Ebenso Jans Haut und seine Kleider, die eben noch blutverschmiert waren. Im Austausch dafür umklammere ich den Kapuzenpullover, dessen ehemals hellgrauer Stoff einen schmutzigen Rotton angenommen hat. Nach einem Blick auf die undefinierbare Stoffmasse, die schwer in meinen Händen liegt, werde ich von starker Übelkeit erfasst. Das metallisch riechende Knäuel fest an meine Brust gepresst, versuche ich flach ein- und auszuatmen, während ich mich darauf konzentriere, bei Bewusstsein zu bleiben.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit fährt schließlich der Krankenwagen auf den Hof und zwei Sanitäter steigen aus. Nach einem letzten Blick auf Jan, der immer noch reglos und kreidebleich am Boden liegt, torkle ich aus dem Zimmer, um mein Versteck aufzusuchen.
    Ich kann nicht mehr.
    Erledigt.
    Durch die noch leicht geöffnete Schranktür höre ich, wie die beiden Männer zögernd das Haus betreten und ihr weiteres Vorgehen planen. »Keiner da. War ja absehbar. Man hatte uns schon gewarnt, dass es sich um einen Scherzanruf handeln könnte.«
    »Sollen wir nicht noch das obere Stockwerk in Augenschein nehmen?«
    »Meinst du wirklich? Du siehst doch, dass hier keiner ist.«
    Was, wenn sie fahren, ohne Jan zu finden?
    Das darf ich nicht zulassen.
    Kraftlos.
    Letzte Reserven mobilisieren.
    Konzentration.
    Oberes Stockwerk. Erstes Zimmer auf der linken Seite. Schaut da nach! Geht hoch!
    »Ich bin dafür, dass wir trotzdem oben nachschauen.«
    Mein Sichtfeld

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