Forschungen eines Hundes
Hunde. Das ist
natürlich nur ein Bild und übertrieben; wären alle Zähne bereit, sie
müßten nicht mehr beißen, der Knochen würde sich öffnen und das
Mark läge frei dem Zugriff des schwächsten Hündchens. Bleibe ich
innerhalb dieses Bildes, dann zielen meine Absicht, meine Fragen,
meine Forschungen allerdings auf etwas Ungeheuerliches. Ich will
diese Versammlung aller Hunde erzwingen, will unter dem Druck
ihres Bereitseins den Knochen sich öffnen lassen, will sie dann zu
ihrem Leben, das ihnen lieb ist, entlassen und dann allein, weit
und breit allein, das Mark einschlürfen. Das klingt ungeheuerlich,
ist fast so, als wollte ich mich nicht vom Mark eines Knochens nur,
sondern vom Mark der Hundeschaft selbst nähren. Doch es ist nur
ein Bild. Das Mark, von dem hier die Rede ist, ist keine Speise, ist
das Gegenteil, ist Gift.
Mit meinen Fragen hetze ich nur noch mich selbst, will mich
anfeuern durch das Schweigen, das allein ringsum mir noch
antwortet. Wie lange wirst du es ertragen, daß die Hundeschaft,
wie du dir durch deine Forschungen immer mehr zu Bewußtsein
bringst, schweigt und immer schweigen wird? Wie lange wirst du
es ertragen, so lautet über allen Einzelfragen meine eigentliche
Lebensfrage: sie ist nur an mich gestellt und belästigt keinen an-
dern. Leider kann ich sie leichter beantworten als die Einzelfragen:
Ich werde es voraussichtlich aushalten bis zu meinem natürlichen
Ende, den unruhigen Fragen widersteht immer mehr die Ruhe
des Alters. Ich werde wahrscheinlich schweigend, vom Schweigen
umgeben, nahezu friedlich, sterben und ich sehe dem gefaßt ent-
gegen. Ein bewundernswürdig starkes Herz, eine vorzeitig nicht
abzunützende Lunge sind uns Hunden wie aus Bosheit mitgege-
ben, wir widerstehen allen Fragen, selbst den eigenen, Bollwerk des
Schweigens, das wir sind.
Immer mehr in letzter Zeit überdenke ich mein Leben, suche den
entscheidenden, alles verschuldenden Fehler, den ich vielleicht be-
gangen habe, und kann ihn nicht finden. Und ich muß ihn doch
begangen haben, denn hätte ich ihn nicht begangen und hätte
trotzdem durch die redliche Arbeit eines langen Lebens das, was
ich wollte, nicht erreicht, so wäre bewiesen, daß das, was ich wollte,
unmöglich war und völlige Hoffnungslosigkeit würde daraus fol-
gen. Sieh das Werk deines Lebens! Zuerst die Untersuchungen
hinsichtlich der Frage: Woher nimmt die Erde die Nahrung für
uns? Ein junger Hund, im Grunde natürlich gierig lebenslustig,
verzichtete ich auf alle Genüsse, wich allen Vergnügungen im
Bogen aus, vergrub vor Verlockungen den Kopf zwischen den
Beinen und machte mich an die Arbeit. Es war keine Gelehrten-
arbeit, weder was die Gelehrsamkeit, noch was die Methode, noch
was die Absicht betrifft. Das waren wohl Fehler, aber entscheidend
können sie nicht gewesen sein. Ich habe wenig gelernt, denn ich
kam frühzeitig von der Mutter fort, gewöhnte mich bald an
Selbständigkeit, führte ein freies Leben, und allzu frühe
Selbständigkeit ist dem systematischen Lernen feindlich. Aber ich
habe viel gesehen, gehört und mit vielen Hunden der verschieden-
sten Arten und Berufe gesprochen und alles, wie ich glaube, nicht
schlecht aufgefaßt und die Einzelbeobachtungen nicht schlecht
verbunden, das hat ein wenig die Gelehrsamkeit ersetzt, außerdem
aber ist Selbständigkeit, mag sie für das Lernen ein Nachteil sein,
für eigene Forschung ein gewisser Vorzug. Sie war in meinem Falle
um so nötiger, als ich nicht die eigentliche Methode der Wissen-
schaft befolgen konnte, nämlich die Arbeiten der Vorgänger zu
benützen und mit den zeitgenössischen Forschem mich zu verbin-
den. Ich war völlig auf mich allein angewiesen, begann mit dem
allerersten Anfang und mit dem für die Jugend beglückenden, für
das Alter dann aber äußerst niederdrückenden Bewußtsein, daß
der zufällige Schlußpunkt, den ich setzen werde, auch der endgül-
tige sein müsse. War ich wirklich so allein mit meinen Forschungen,
jetzt und seit jeher? Ja und nein. Es ist unmöglich, daß nicht immer
und auch heute einzelne Hunde hier und dort in meiner Lage wa-
ren und sind. So schlimm kann es mit mir nicht stehen. Ich bin
kein Haarbreit außerhalb des Hundewesens. Jeder Hund hat wie
ich den Drang zu fragen, und ich habe wie jeder Hund den Drang
zu schweigen. Jeder hat den Drang zu fragen. Hätte ich denn sonst
durch meine Fragen auch nur die leichtesten Erschütterungen er-
reichen
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