Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Forschungen eines Hundes

Forschungen eines Hundes

Titel: Forschungen eines Hundes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
Kind schon ganz genau.
    Und ich merkte von da aus noch mehr. Sie hatten wirklich Grund
    zu schweigen, vorausgesetzt, daß sie aus Schuldgefühl schwiegen.
    Denn wie führten sie sich auf, vor lauter Musik hatte ich es bisher
    nicht bemerkt, sie hatten ja alle Scham von sich geworfen, die elen-
    den taten das gleichzeitig Lächerlichste und Unanständigste, sie
    gingen aufrecht auf den Hinterbeinen. Pfui Teufel! Sie entblößten
    sich und trugen ihre Blöße protzig zur Schau: sie taten sich darauf
    zugute, und wenn sie einmal auf einen Augenblick dem guten
    Trieb gehorchten und die Vorderbeine senkten, erschraken sie
    förmlich, als sei es ein Fehler, als sei die Natur ein Fehler, hoben
    wieder schnell die Beine und ihr Blick schien um Verzeihung dafür
    zu bitten, daß sie in ihrer Sündhaftigkeit ein wenig hatten innehal-
    ten müssen. War die Welt verkehrt? Wo war ich? Was war denn
    geschehen? Hier durfte ich um meines eigenen Bestandes willen
    nicht mehr zögern, ich machte mich los aus den umklammernden
    Hölzern, sprang mit einem Satz hervor und wollte zu den Hunden,
    ich kleiner Schüler mußte Lehrer sein, mußte ihnen begreiflich
    machen, was sie taten, mußte sie abhalten vor weiterer Versündigung.
    »So alte Hunde, so alte Hunde!« wiederholte ich mir immerfort.
    Aber kaum war ich frei und nur noch zwei, drei Sprünge trennten
    mich von den Hunden, war es wieder der Lärm, der seine Macht
    über mich bekam. Vielleicht hätte ich in meinem Eifer sogar ihm,
    den ich doch nun schon kannte, widerstanden, wenn nicht durch
    alle seine Fülle, die schrecklich war, aber vielleicht doch zu be-
    kämpfen, ein klarer, strenger, immer sich gleich bleibender, förm-
    lich aus großer Ferne unverändert ankommender Ton, vielleicht
    die eigentliche Melodie inmitten des Lärms, geklungen und mich
    in die Knie gezwungen hätte. Ach, was machten doch diese Hunde
    für eine betörende Musik. Ich konnte nicht weiter, ich wollte sie
    nicht mehr belehren, mochten sie weiter die Beine spreizen, Sünden
    begehen und andere zur Sünde des stillen Zuschauens verlocken,
    ich war ein so kleiner Hund, wer konnte so Schweres von mir ver-
    langen? Ich machte mich noch kleiner, als ich war, ich winselte,
    hätten mich danach die Hunde um meine Meinung gefragt, ich
    hätte ihnen vielleicht recht gegeben. Es dauerte übrigens nicht lan-
    ge und sie verschwanden mit allem Lärm und allem Licht in der
    Finsternis, aus der sie gekommen waren.
    Wie ich schon sagte: dieser ganze Vorfall enthielt nichts
    Außergewöhnliches, im Verlauf eines langen Lebens begegnet
    einem mancherlei, was, aus dem Zusammenhang genommen
    und mit den Augen eines Kindes angesehen, noch viel erstaun-
    licher wäre. Überdies kann man es natürlich – wie der treffende
    Ausdruck lautet – ›verreden‹, so wie alles, dann zeigt sich, daß hier
    sieben Musiker zusammengekommen waren, um in der Stille des
    Morgens Musik zu machen, daß ein kleiner Hund sich hinverirrt
    hatte, ein lästiger Zuhörer, den sie durch besonders schreckliche
    oder erhabene Musik leider vergeblich zu vertreiben suchten. Er
    störte sie durch Fragen, hätten sie, die schon durch die bloße
    Anwesenheit des Fremdlings genug gestört waren, auch noch auf
    diese Belästigung eingehen und sie durch Antworten vergrößern
    sollen? Und wenn auch das Gesetz befiehlt, jedem zu antworten,
    ist denn ein solcher winziger, hergelaufener Hund überhaupt
    ein nennenswerter Jemand? Und vielleicht verstanden sie ihn
    gar nicht, er bellte ja doch wohl seine Fragen recht unverständ-
    lich. Oder vielleicht verstanden sie ihn wohl und antworteten in
    Selbstüberwindung, aber er, der Kleine, der Musik-Ungewohnte,
    konnte die Antwort von der Musik nicht sondern. Und was die
    Hinterbeine betrifft, vielleicht gingen sie wirklich ausnahmsweise
    nur auf ihnen, es ist eine Sünde, wohl! Aber sie waren allein, sie-
    ben Freunde unter Freunden, im vertraulichen Beisammensein,
    gewissermaßen in den eigenen vier Wänden, gewissermaßen
    ganz allein, denn Freunde sind doch keine Öffentlichkeit und wo
    keine Öffentlichkeit ist, bringt sie auch ein kleiner, neugieriger
    Straßenhund nicht hervor, in diesem Fall aber: ist es hier nicht so,
    als wäre nichts geschehen? Ganz so ist es nicht, aber nahezu, und
    die Eltern sollten ihre Kleinen weniger herumlaufen und dafür
    besser schweigen und das Alter achten lehren.
    Ist man soweit, dann ist der Fall erledigt. Freilich, was für die
    Großen erledigt ist, ist es für die

Weitere Kostenlose Bücher