Forschungen eines Hundes
Kind schon ganz genau.
Und ich merkte von da aus noch mehr. Sie hatten wirklich Grund
zu schweigen, vorausgesetzt, daß sie aus Schuldgefühl schwiegen.
Denn wie führten sie sich auf, vor lauter Musik hatte ich es bisher
nicht bemerkt, sie hatten ja alle Scham von sich geworfen, die elen-
den taten das gleichzeitig Lächerlichste und Unanständigste, sie
gingen aufrecht auf den Hinterbeinen. Pfui Teufel! Sie entblößten
sich und trugen ihre Blöße protzig zur Schau: sie taten sich darauf
zugute, und wenn sie einmal auf einen Augenblick dem guten
Trieb gehorchten und die Vorderbeine senkten, erschraken sie
förmlich, als sei es ein Fehler, als sei die Natur ein Fehler, hoben
wieder schnell die Beine und ihr Blick schien um Verzeihung dafür
zu bitten, daß sie in ihrer Sündhaftigkeit ein wenig hatten innehal-
ten müssen. War die Welt verkehrt? Wo war ich? Was war denn
geschehen? Hier durfte ich um meines eigenen Bestandes willen
nicht mehr zögern, ich machte mich los aus den umklammernden
Hölzern, sprang mit einem Satz hervor und wollte zu den Hunden,
ich kleiner Schüler mußte Lehrer sein, mußte ihnen begreiflich
machen, was sie taten, mußte sie abhalten vor weiterer Versündigung.
»So alte Hunde, so alte Hunde!« wiederholte ich mir immerfort.
Aber kaum war ich frei und nur noch zwei, drei Sprünge trennten
mich von den Hunden, war es wieder der Lärm, der seine Macht
über mich bekam. Vielleicht hätte ich in meinem Eifer sogar ihm,
den ich doch nun schon kannte, widerstanden, wenn nicht durch
alle seine Fülle, die schrecklich war, aber vielleicht doch zu be-
kämpfen, ein klarer, strenger, immer sich gleich bleibender, förm-
lich aus großer Ferne unverändert ankommender Ton, vielleicht
die eigentliche Melodie inmitten des Lärms, geklungen und mich
in die Knie gezwungen hätte. Ach, was machten doch diese Hunde
für eine betörende Musik. Ich konnte nicht weiter, ich wollte sie
nicht mehr belehren, mochten sie weiter die Beine spreizen, Sünden
begehen und andere zur Sünde des stillen Zuschauens verlocken,
ich war ein so kleiner Hund, wer konnte so Schweres von mir ver-
langen? Ich machte mich noch kleiner, als ich war, ich winselte,
hätten mich danach die Hunde um meine Meinung gefragt, ich
hätte ihnen vielleicht recht gegeben. Es dauerte übrigens nicht lan-
ge und sie verschwanden mit allem Lärm und allem Licht in der
Finsternis, aus der sie gekommen waren.
Wie ich schon sagte: dieser ganze Vorfall enthielt nichts
Außergewöhnliches, im Verlauf eines langen Lebens begegnet
einem mancherlei, was, aus dem Zusammenhang genommen
und mit den Augen eines Kindes angesehen, noch viel erstaun-
licher wäre. Überdies kann man es natürlich – wie der treffende
Ausdruck lautet – ›verreden‹, so wie alles, dann zeigt sich, daß hier
sieben Musiker zusammengekommen waren, um in der Stille des
Morgens Musik zu machen, daß ein kleiner Hund sich hinverirrt
hatte, ein lästiger Zuhörer, den sie durch besonders schreckliche
oder erhabene Musik leider vergeblich zu vertreiben suchten. Er
störte sie durch Fragen, hätten sie, die schon durch die bloße
Anwesenheit des Fremdlings genug gestört waren, auch noch auf
diese Belästigung eingehen und sie durch Antworten vergrößern
sollen? Und wenn auch das Gesetz befiehlt, jedem zu antworten,
ist denn ein solcher winziger, hergelaufener Hund überhaupt
ein nennenswerter Jemand? Und vielleicht verstanden sie ihn
gar nicht, er bellte ja doch wohl seine Fragen recht unverständ-
lich. Oder vielleicht verstanden sie ihn wohl und antworteten in
Selbstüberwindung, aber er, der Kleine, der Musik-Ungewohnte,
konnte die Antwort von der Musik nicht sondern. Und was die
Hinterbeine betrifft, vielleicht gingen sie wirklich ausnahmsweise
nur auf ihnen, es ist eine Sünde, wohl! Aber sie waren allein, sie-
ben Freunde unter Freunden, im vertraulichen Beisammensein,
gewissermaßen in den eigenen vier Wänden, gewissermaßen
ganz allein, denn Freunde sind doch keine Öffentlichkeit und wo
keine Öffentlichkeit ist, bringt sie auch ein kleiner, neugieriger
Straßenhund nicht hervor, in diesem Fall aber: ist es hier nicht so,
als wäre nichts geschehen? Ganz so ist es nicht, aber nahezu, und
die Eltern sollten ihre Kleinen weniger herumlaufen und dafür
besser schweigen und das Alter achten lehren.
Ist man soweit, dann ist der Fall erledigt. Freilich, was für die
Großen erledigt ist, ist es für die
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