Forschungen eines Hundes
Kleinen noch nicht. Ich lief um-
her, erzählte und fragte, klagte an und forschte und wollte jeden
hinziehen zu dem Ort, wo alles geschehen war, und wollte jedem
zeigen, wo ich gestanden war und wo die sieben gewesen und wo
und wie sie getanzt und musiziert hatten und, wäre jemand mit
mir gekommen, statt daß mich jeder abgeschüttelt und ausgelacht
hätte, ich hätte dann wohl meine Sündlosigkeit geopfert und mich
auch auf die Hinterbeine zu stellen versucht, um alles genau zu
verdeutlichen. Nun, einem Kinde nimmt man alles übel, verzeiht
ihm aber schließlich auch alles. Ich aber habe dieses kindhafte
Wesen behalten und bin darüber ein alter Hund geworden. So wie
ich damals nicht aufhörte, jenen Vorfall, den ich allerdings heute
viel niedriger einschätze, laut zu besprechen, in seine Bestandteile
zu zerlegen, an den Anwesenden zu messen ohne Rücksicht auf
die Gesellschaft, in der ich mich befand, nur immer mit der Sache
beschäftigt, die ich lästig fand genau so wie jeder andere, die ich
aber – das war der Unterschied – gerade deshalb restlos durch
Untersuchung auflösen wollte, um den Blick endlich wieder frei-
zubekommen für das gewöhnliche, ruhige, glückliche Leben des
Tages. Ganz so wie damals habe ich, wenn auch mit weniger kind-
lichen Mitteln – aber sehr groß ist der Unterschied nicht – in der
Folgezeit gearbeitet und halte auch heute nicht weiter.
Mit jenem Konzert aber begann es. Ich klage nicht darüber, es ist
mein eingeborenes Wesen, das hier wirkt und das sich gewiß, wenn
das Konzert nicht gewesen wäre, eine andere Gelegenheit gesucht
hätte, um durchzubrechen. Nur daß es so bald geschah, tat mir
früher manchmal leid, es hat mich um einen großen Teil meiner
Kindheit gebracht, das glückselige Leben der jungen Hunde, das
mancher für sich jahrelang auszudehnen imstande ist, hat für mich
nur wenige kurze Monate gedauert. Sei’s drum. Es gibt wichtigere
Dinge als die Kindheit. Und vielleicht winkt mir im Alter, erarbei-
tet durch ein hartes Leben, mehr kindliches Glück, als ein wirk-
liches Kind zu ertragen die Kraft hätte, die ich dann aber haben
werde.
Ich begann damals meine Untersuchungen mit den einfachsten
Dingen, an Material fehlte es nicht, leider, der Überfluß ist es, der
mich in dunklen Stunden verzweifeln läßt. Ich begann zu untersu-
chen, wovon sich die Hundeschaft nährt. Das ist nun, wenn man
will, natürlich keine einfache Frage, sie beschäftigt uns seit
Urzeiten, sie ist der Hauptgegenstand unseres Nachdenkens, zahl-
los sind die Beobachtungen und Versuche und Ansichten auf die-
sem Gebiete, es ist eine Wissenschaft geworden, die in ihren unge-
heuren Ausmaßen nicht nur über die Fassungskraft des einzelnen,
sondern über jene aller Gelehrten insgesamt geht und ausschließ-
lich von niemandem anderen als von der gesamten Hundeschaft
und selbst von dieser nur seufzend und nicht ganz vollständig ge-
tragen werden kann, immer wieder abbröckelt in altem, längst be-
sessenem Gut und mühselig ergänzt werden muß, von den
Schwierigkeiten und kaum zu erfüllenden Voraussetzungen meiner
Forschung ganz zu schweigen. Das alles wende man mir nicht ein,
das alles weiß ich, wie nur irgendein Durchschnittshund, es fällt
mir nicht ein, mich in die wahre Wissenschaft zu mengen, ich
habe alle Ehrfurcht vor ihr, die ihr gebührt, aber sie zu vermehren
fehlt es mir an Wissen und Fleiß und Ruhe und – nicht zuletzt,
besonders seit einigen Jahren – auch an Appetit. Ich schlinge das
Essen hinunter, aber der geringsten vorgängigen geordneten land-
wirtschaftlichen Betrachtung ist es mir nicht wert. Mir genügt in
dieser Hinsicht der Extrakt aller Wissenschaft, die kleine Regel,
mit welcher die Mütter die Kleinen von ihren Brüsten ins Leben
entlassen: »Mache alles naß, soviel du kannst.« Und ist hier nicht
wirklich fast alles enthalten? Was hat die Forschung, von unseren
Urvätern angefangen, entscheidend Wesentliches denn hinzuzufü-
gen? Einzelheiten, Einzelheiten und wie unsicher ist alles. Diese
Regel aber wird bestehen, solange wir Hunde sind. Sie betrifft un-
sere Hauptnahrung. Gewiß, wir haben noch andere Hilfsmittel,
aber im Notfall und wenn die Jahre nicht zu schlimm sind, könn-
ten wir von dieser Hauptnahrung leben, diese Hauptnahrung fin-
den wir auf der Erde, die Erde aber braucht unser Wasser, nährt
sich von ihm, und nur für diesen Preis gibt sie uns unsere Nahrung,
deren
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