Forschungen eines Hundes
Hervorkommen man allerdings, dies ist auch nicht zu ver-
gessen, durch bestimmte Sprüche, Gesänge, Bewegungen be-
schleunigen kann. Das ist aber meiner Meinung nach alles; von
dieser Seite her ist über diese Sache grundsätzlich nicht mehr zu
sagen. Hierin bin ich auch einig mit der ganzen Mehrzahl der
Hundeschaft und von allen in dieser Hinsicht ketzerischen
Ansichten wende ich mich streng ab. Wahrhaftig, es geht mir nicht
um Besonderheiten, um Rechthaberei, ich bin glücklich, wenn ich
mit den Volksgenossen übereinstimmen kann, und in diesem Falle
geschieht es. Meine eigenen Unternehmungen gehen aber in ande-
rer Richtung. Der Augenschein lehrt mich, daß die Erde, wenn sie
nach den Regeln der Wissenschaft besprengt und bearbeitet wird,
die Nahrung hergibt, und zwar in solcher Qualität, in solcher
Menge, auf solche Art, an solchen Orten, zu solchen Stunden, wie
es die gleichfalls von der Wissenschaft ganz oder teilweise festge-
stellten Gesetze verlangen. Das nehme ich hin, meine Frage aber
ist: »Woher nimmt die Erde diese Nahrung?« Eine Frage, die man
im allgemeinen nicht zu verstehen vorgibt und auf die man mir
bestenfalls antwortet: »Hast du nicht genug zu essen, werden wir
dir von dem unseren geben.« Man beachte diese Antwort. Ich
weiß: Es gehört nicht zu den Vorzügen der Hundeschaft, daß wir
Speisen, die wir einmal erlangt haben, zur Verteilung bringen. Das
Leben ist schwer, die Erde spröde, die Wissenschaft reich an
Erkenntnissen, aber arm genug an praktischen Erfolgen; wer Speise
hat, behält sie; das ist nicht Eigennutz, sondern das Gegenteil, ist
Hundegesetz, ist einstimmiger Volksbeschluß, hervorgegangen aus
Überwindung der Eigensucht, denn die Besitzenden sind ja immer
in der Minderzahl. Und darum ist jene Antwort: »Hast du nicht
genug zu essen, werden wir dir von dem unseren geben« eine stän-
dige Redensart, ein Scherzwort, eine Neckerei. Ich habe das nicht
vergessen. Aber eine um so größere Bedeutung hatte es für mich,
daß man mir gegenüber, damals als ich mich mit meinen Fragen in
der Welt umhertrieb, den Spott beiseiteließ – man gab mir zwar
noch immer nichts zu essen – woher hätte man es gleich nehmen
sollen –, und wenn man es gerade zufällig hatte, vergaß man na-
türlich in der Raserei des Hungers jede andere Rücksicht, aber das
Angebot meinte man ernst, und hie und da bekam ich dann wirk-
lich eine Kleinigkeit, wenn ich schnell genug dabei war, sie an
mich zu reißen. Wie kam es, daß man sich zu mir so besonders
verhielt, mich schonte, mich bevorzugte? Weil ich ein magerer,
schwacher Hund war, schlecht genährt und zu wenig um Nahrung
besorgt? Aber es laufen viele schlecht genährte Hunde herum und
man nimmt ihnen selbst die elendste Nahrung vor dem Mund weg,
wenn man es kann, oft nicht aus Gier, sondern meist aus Grundsatz.
Nein, man bevorzugte mich, ich konnte es nicht so sehr mit
Einzelheiten belegen, als daß ich vielmehr den bestimmten
Eindruck dessen hatte. Waren es also meine Fragen, über die man
sich freute, die man für besonders klug ansah? Nein, man freute
sich nicht und hielt sie alle für dumm. Und doch konnten es nur
die Fragen sein, die mir die Aufmerksamkeit erwarben. Es war, als
wolle man lieber das Ungeheuerliche tun, mir den Mund mit Essen
zustopfen – man tat es nicht, aber man wollte es –, als meine
Fragen dulden. Aber dann hätte man mich doch besser verjagen
können und meine Fragen sich verbitten. Nein, das wollte man
nicht, man wollte zwar meine Fragen nicht hören, aber gerade we-
gen dieser meiner Fragen wollte man mich nicht verjagen. Es war,
so sehr ich ausgelacht, als dummes, kleines Tier behandelt, hin-
und hergeschoben wurde, eigentlich die Zeit meines größten
Ansehens, niemals hat sich später etwas derartiges wiederholt,
überall hatte ich Zutritt, nichts wurde mir verwehrt, unter dem
Vorwand rauher Behandlung wurde mir eigentlich geschmeichelt.
Und alles also doch nur wegen meiner Fragen, wegen meiner
Ungeduld, wegen meiner Forschungsbegierde. Wollte man mich
damit einlullen, ohne Gewalt, fast liebend mich von einem fal-
schen Wege abbringen, von einem Wege, dessen Falschheit doch
nicht so über allem Zweifel stand, daß sie erlaubt hätte, Gewalt
anzuwenden? – Auch hielt eine gewisse Achtung und Furcht von
Gewaltanwendung ab. Ich ahnte schon damals etwas derartiges,
heute weiß ich es genau, viel genauer als die, welche es damals ta-
ten, es ist
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