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Forschungen eines Hundes

Forschungen eines Hundes

Titel: Forschungen eines Hundes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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gewisse Großartigkeit, ist die einzige, wenn auch
    nur scheinbare Wirklichkeit, die ich aus der Hungerzeit in diese
    Welt herübergerettet habe, und sie zeigt zumindest, wie weit bei
    völligem Außer-sich-sein wir gelangen können. Und ich war wirk-
    lich völlig außer mir. Unter gewöhnlichen Umständen wäre ich
    schwerkrank gewesen, unfähig, mich zu rühren, aber der Melodie,
    die nun bald der Hund als die seine zu übernehmen schien, konnte
    ich nicht widerstehen. Immer stärker wurde sie: ihr Wachsen hatte
    vielleicht keine Grenzen und schon jetzt sprengte sie mir fast das
    Gehör. Das Schlimmste aber war, daß sie nur meinetwegen vor-
    handen zu sein schien, diese Stimme, vor deren Erhabenheit der
    Wald verstummte, nur meinetwegen; wer war ich, der ich noch im-
    mer hier zu bleiben wagte und mich vor ihr breitmachte in meinem
    Schmutz und Blut? Schlotternd erhob ich mich, sah an mir hinab;
    so etwas wird doch nicht laufen, dachte ich noch, aber schon flog
    ich, von der Melodie gejagt, in den herrlichsten Sprüngen dahin.
    Meinen Freunden erzählte ich nichts, gleich bei meiner Ankunft
    hätte ich wahrscheinlich alles erzählt, aber da war ich zu schwach,
    später schien es mir wieder nicht mitteilbar. Andeutungen, die
    zu unterdrücken ich mich nicht bezwingen konnte, verloren sich
    spurlos in den Gesprächen. Körperlich erholte ich mich übrigens in
    wenigen Stunden, geistig trage ich noch heute die Folgen.
    Meine Forschungen aber erweiterte ich auf die Musik der
    Hunde. Die Wissenschaft war gewiß auch hier nicht untätig,
    die Wissenschaft von der Musik ist, wenn ich gut berichtet bin,
    vielleicht noch umfangreicher als jene von der Nahrung, und je-
    denfalls fester begründet. Es ist das dadurch zu erklären, daß auf
    diesem Gebiet leidenschaftsloser gearbeitet werden kann als auf
    jenem, und daß es sich hier mehr um bloße Beobachtungen und
    Systematisierungen handelt, dort dagegen vor allem um praktische
    Folgerungen. Damit hängt zusammen, daß der Respekt vor der
    Musikwissenschaft größer ist als vor der Nahrungswissenschaft,
    die erstere aber niemals so tief ins Volk eindringen konnte wie die
    zweite. Auch ich stand der Musikwissenschaft, ehe ich die Stimme
    im Wald gehört hatte, fremder gegenüber als irgendeiner anderen.
    Zwar hatte mich schon das Erlebnis mit den Musikhunden auf sie
    hingewiesen, aber ich war damals noch zu jung. Auch ist es nicht
    leicht, an diese Wissenschaft auch nur heranzukommen, sie gilt als
    besonders schwierig und schließt sich vornehm gegen die Menge
    ab. Auch war zwar die Musik bei jenen Hunden das zunächst
    Auffallendste gewesen, aber wichtiger als die Musik schien mir ihr
    verschwiegenes Hundewesen, für ihre schreckliche Musik fand ich
    vielleicht überhaupt keine Ähnlichkeit anderswo, ich konnte sie
    eher vernachlässigen, aber ihr Wesen begegnete mir von damals an
    in allen Hunden überall. In das Wesen der Hunde einzudringen,
    schienen mir aber Forschungen über die Nahrung am geeignetsten
    und ohne Umweg zum Ziele führend. Vielleicht hatte ich darin
    Unrecht. Ein Grenzgebiet der beiden Wissenschaften lenkte aller-
    dings schon damals meinen Verdacht auf sich. Es ist die Lehre von
    dem die Nahrung herabrufenden Gesang. Wieder ist es hier für
    mich sehr störend, daß ich auch in die Musikwissenschaft niemals
    ernstlich eingedrungen bin und mich in dieser Hinsicht bei wei-
    tem nicht einmal zu den von der Wissenschaft immer besonders
    verachteten Halbgebildeten rechnen kann. Dies muß mir immer
    gegenwärtig bleiben. Vor einem Gelehrten würde ich, ich habe
    leider dafür Beweise, auch in der leichtesten wissenschaftlichen
    Prüfung sehr schlecht bestehen. Das hat natürlich, von den schon
    erwähnten Lebensumständen abgesehen, seinen Grund zunächst
    in meiner wissenschaftlichen Unfähigkeit, geringer Denkkraft,
    schlechtem Gedächtnis und vor allem in dem Außerstandesein, das
    wissenschaftliche Ziel mir immer vor Augen zu halten. Das alles
    gestehe ich mir offen ein, sogar mit einer gewissen Freude. Denn
    der tiefere Grund meiner wissenschaftlichen Unfähigkeit scheint
    mir ein Instinkt und wahrlich kein schlechter Instinkt zu sein.
    Wenn ich bramarbasieren wollte, könnte ich sagen, daß gerade
    dieser Instinkt meine wissenschaftlichen Fähigkeiten zerstört hat,
    denn es wäre doch eine zumindest sehr merkwürdige Erscheinung,
    daß ich, der ich in den gewöhnlichen täglichen Lebensdingen,
    die gewiß nicht die einfachsten sind, einen

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