Forschungen eines Hundes
wahr, man hat mich ablocken wollen von meinem Wege.
Es gelang nicht, man erreichte das Gegenteil, meine Aufmerksamkeit
verschärfte sich. Es stellte sich mir sogar heraus, daß ich es war, der
die andern verlocken wollte, und daß mir tatsächlich die
Verlockung bis zu einem gewissen Grade gelang. Erst mit Hilfe der
Hundeschaft begann ich meine eigenen Fragen zu verstehen. Wenn
ich zum Beispiel fragte: Woher nimmt die Erde diese Nahrung, –
kümmerte mich denn dabei, wie es den Anschein haben konnte,
die Erde, kümmerten mich etwa der Erde Sorgen? Nicht im ge-
ringsten, das lag mir, wie ich bald erkannte, völlig fern, mich küm-
merten nur die Hunde, gar nichts sonst. Denn was gibt es außer
den Hunden? Wen kann man sonst anrufen in der weiten, leeren
Welt? Alles Wissen, die Gesamtheit aller Fragen und aller Ant-
worten ist in den Hunden enthalten. Wenn man nur dieses Wissen
wirksam, wenn man es nur in den hellen Tag bringen könnte,
wenn sie nur nicht so unendlich viel mehr wüßten, als sie zugeste-
hen, als sie sich selbst zugestehen. Noch der redseligste Hund ist
verschlossener, als es die Orte zu sein pflegen, wo die besten Speisen
sind. Man umschleicht den Mithund, man schäumt vor Begierde,
man prügelt sich selbst mit dem eigenen Schwanz, man fragt, man
bittet, man heult, man beißt und erreicht – und erreicht das, was
man auch ohne jede Anstrengung erreichen würde: liebevolles
Anhören, freundliche Berührungen, ehrenvolle Beschnupperungen,
innige Umarmungen, mein und dein Heulen mischt sich in eines,
alles ist darauf gerichtet, ein Entzücken, Vergessen und Finden,
aber das eine, was man vor allem erreichen wollte: Eingeständnis
des Wissens, das bleibt versagt. Auf diese Bitte, ob stumm, ob laut,
antworten bestenfalls, wenn man die Verlockung schon aufs äu-
ßerste getrieben hat, nur stumpfe Mienen, schiefe Blicke, verhäng-
te, trübe Augen. Es ist nicht viel anders, als es damals war, da ich
als Kind die Musikerhunde anrief und sie schwiegen.
Nun könnte man sagen: »Du beschwerst dich über deine
Mithunde, über ihre Schweigsamkeit hinsichtlich der entschei-
denden Dinge, du behauptest, sie wüßten mehr, als sie einge-
stehen, mehr, als sie im Leben gelten lassen wollen, und dieses
Verschweigen, dessen Grund und Geheimnis sie natürlich auch
noch mitverschweigen, vergifte das Leben, mache es dir unerträg-
lich, du müßtest es ändern oder es verlassen, mag sein, aber du
bist doch selbst ein Hund, hast auch das Hundewissen, nun sprich
es aus, nicht nur in Form der Frage, sondern als Antwort. Wenn
du es aussprichst, wer wird dir widerstehen? Der große Chor der
Hundeschaft wird einfallen, als hätte er darauf gewartet. Dann hast
du Wahrheit, Klarheit, Eingeständnis, soviel du nur willst. Das
Dach dieses niedrigen Lebens, dem du so Schlimmes nachsagst,
wird sich öffnen und wir werden alle, Hund bei Hund, aufsteigen
in die hohe Freiheit. Und sollte das Letzte nicht gelingen, sollte es
schlimmer werden als bisher, sollte die ganze Wahrheit unerträgli-
cher sein als die halbe, sollte sich bestätigen, daß die Schweigenden
als Erhalter des Lebens im Rechte sind, sollte aus der leisen
Hoffnung, die wir jetzt noch haben, völlige Hoffnungslosigkeit
werden, des Versuches ist das Wort doch wert, da du so, wie du
leben darfst, nicht leben willst. Nun also, warum machst du den
anderen ihre Schweigsamkeit zum Vorwurf und schweigst selbst?«
Leichte Antwort: Weil ich ein Hund bin. Im Wesentlichen genau
so wie die anderen fest verschlossen, Widerstand leistend den ei-
genen Fragen, hart aus Angst. Frage ich denn, genau genommen,
zumindest seit ich erwachsen bin, die Hundeschaft deshalb, damit
sie mir antwortet? Habe ich so törichte Hoffnungen? Sehe ich die
Fundamente unseres Lebens, ahne ihre Tiefe, sehe die Arbeiter
beim Bau, bei ihrem finstern Werk, und erwarte noch immer, daß
auf meine Fragen hin alles dies beendigt, zerstört, verlassen wird?
Nein, das erwarte ich wahrhaftig nicht mehr. Ich verstehe sie, ich
bin Blut von ihrem Blut, von ihrem armen, immer wieder jungen,
immer wieder verlangenden Blut. Aber nicht nur das Blut haben
wir gemeinsam, sondern auch das Wissen und nicht nur das Wissen,
sondern auch den Schlüssel zu ihm. Ich besitze es nicht ohne die
anderen, ich kann es nicht haben ohne ihre Hilfe. – Eisernen
Knochen, enthaltend das edelste Mark, kann man nur beikommen
durch ein gemeinsames Beißen aller Zähne aller
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