Forschungen eines Hundes
hatte einen schönen, starken forschenden Blick. »Was machst
du hier?« sagte er. »Du mußt von hier fortgehen.« »Ich kann jetzt
nicht fortgehen«, sagte ich, ohne weitere Erklärung, denn wie hätte
ich ihm alles erklären sollen, auch schien er in Eile zu sein. »Bitte,
geh fort«, sagte er, und hob unruhig ein Bein nach dem anderen.
»Laß mich«, sagte ich, »geh und kümmere dich nicht um mich, die
anderen kümmern sich auch nicht um mich.« »Ich bitte dich um
deinetwillen«, sagte er. »Bitte mich aus welchem Grund du willst«,
sagte ich. »Ich kann nicht gehen, selbst wenn ich wollte.« »Daran
fehlt es nicht«, sagte er lächelnd. »Du kannst gehen. Eben weil du
schwach zu sein scheinst, bitte ich dich, daß du jetzt langsam fort-
gehst, zögerst du, wirst du später laufen müssen.« »Laß das meine
Sorge sein«, sagte ich. »Es ist auch meine, sagte er, traurig wegen
meiner Hartnäckigkeit, und wollte nun offenbar mich aber vorläu-
fig schon hier lassen, aber die Gelegenheit benützen und sich lie-
bend an mich heranzumachen. Zu anderer Zeit hätte ich es gerne
geduldet von dem Schönen, damals aber, ich begriff es nicht, faßte
mich ein Entsetzen davor. »Weg!« schrie ich, um so lauter, als ich
mich anders nicht verteidigen konnte. »Ich lasse dich ja«, sagte er
langsam zurücktretend. »Du bist wunderbar. Gefalle ich dir denn
nicht?« »Du wirst mir gefallen, wenn du fortgehst, und mich in
Ruhe läßt«, sagte ich, aber ich war meiner nicht mehr so sicher, wie
ich ihn glauben machen wollte. Irgendetwas sah oder hörte ich an
ihm mit meinen durch das Hungern geschärften Sinnen, es war
erst in den Anfängen, es wuchs, es näherte sich und ich wußte
schon, dieser Hund hat allerdings die Macht dich fortzutreiben,
wenn du dir jetzt auch noch nicht vorstellen kannst, wie du dich
jemals wirst erheben können. Und ich sah ihn, der auf meine grobe
Antwort nur sanft den Kopf geschüttelt hatte, mit immer größerer
Begierde an. »Wer bist du?« fragte ich. »Ich bin ein Jäger«, sagte
er. »Und warum willst du mich nicht hier lassen?« fragte ich. »Du
störst mich«, sagte er, »ich kann nicht jagen, wenn du hier bist.«
»Versuche es«, sagte ich, »vielleicht wirst du noch jagen können.«
»Nein«, sagte er, »es tut mir leid, aber du mußt fort.« »Laß heute
das Jagen!« bat ich. »Nein«, sagte er, »ich muß jagen.« »Ich muß
fortgehen, du mußt jagen«, sagte ich, »lauter Müssen. Verstehst
du es, warum wir müssen?« »Nein«, sagte er, »es ist daran aber
auch nichts zu verstehen, es sind selbstverständliche, natürliche
Dinge.« »Doch nicht«, sagte ich, »es tut dir ja leid, daß du mich
verjagen mußt, und dennoch tust du es.« »So ist es«, sagte er. »So
ist es«, wiederholte ich ärgerlich, »das ist keine Antwort. Welcher
Verzicht fiele dir leichter, der Verzicht auf die Jagd oder darauf,
mich wegzutreiben?« »Der Verzicht auf die Jagd«, sagte er ohne
Zögern. »Nun also«, sagte ich, »hier ist doch ein Widerspruch.«
»Was für ein Widerspruch denn?« sagte er, »du lieber kleiner Hund,
verstehst du denn wirklich nicht, daß ich muß? Verstehst du denn
das Selbstverständliche nicht?« Ich antwortete nichts mehr, denn
ich merkte – und neues Leben durchfuhr mich dabei, Leben wie
es der Schrecken gibt –, ich merkte an unfaßbaren Einzelheiten,
die vielleicht niemand außer mir hätte merken können, daß der
Hund aus der Tiefe der Brust zu einem Gesange anhob. »Du wirst
singen«, sagte ich. »Ja«, sagte er ernst, »ich werde singen, bald,
aber noch nicht.« »Du beginnst schon«, sagte ich. »Nein«, sagte er,
»noch nicht. Aber mach dich bereit.« »Ich höre es schon, obwohl du
es leugnest«, sagte ich zitternd. Er schwieg. Und ich glaubte damals,
etwas zu erkennen, was kein Hund je vor mir erfahren hat, wenig-
stens findet sich in der Überlieferung nicht die leiseste Andeutung
dessen, und ich versenkte eilig in unendlicher Angst und Scham
das Gesicht in der Blutlache vor mir. Ich glaubte nämlich zu er-
kennen, daß der Hund schon sang, ohne es noch zu wissen, ja
mehr noch, daß die Melodie, von ihm getrennt, nach eigenem
Gesetz durch die Lüfte schwebte und über ihn hinweg, als gehöre
er nicht dazu, nur nach mir, nach mir hin zielte. – Heute leugne
ich natürlich alle derartigen Erkenntnisse und schreibe sie meiner
damaligen Überreiztheit zu, aber wenn es auch ein Irrtum war, so
hat er doch eine
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