Forschungen eines Hundes
völlig allein mit dem in den Eingeweiden brennen-
den Hunger. »Das ist der Hunger«, sagte ich mir damals unzähli-
gemal, so als wollte ich mich glauben machen, Hunger und ich
seien noch immer zweierlei und ich könnte ihn abschütteln wie
einen lästigen Liebhaber, aber in Wirklichkeit waren wir höchst
schmerzlich Eines, und wenn ich mir erklärte: »Das ist der
Hunger«, so war es eigentlich der Hunger, der sprach und sich da-
mit über mich lustig machte. Eine böse, böse Zeit! Mich schauert,
wenn ich an sie denke, freilich nicht nur wegen des Leides, das ich
damals durchlebt habe, sondern vor allem deshalb, weil ich damals
nicht fertig geworden bin, weil ich dieses Leiden noch einmal wer-
de durchkosten müssen, wenn ich etwas erreichen will, denn das
Hungern halte ich noch heute für das letzte und stärkste Mittel
meiner Forschung. Durch das Hungern geht der Weg, das Höchste
ist nur der höchsten Leistung erreichbar, wenn es erreichbar ist,
und diese höchste Leistung ist bei uns freiwilliges Hungern. Wenn
ich also jene Zeiten durchdenke – und für mein Leben gern wühle
ich in ihnen – durchdenke ich auch die Zeiten, die mir drohen. Es
scheint, daß man fast ein Leben verstreichen lassen muß, ehe man
sich von einem solchen Versuch erholt, meine ganzen Mannesjahre
trennen mich von jenem Hungern, aber erholt bin ich noch nicht.
Ich werde, wenn ich nächstens das Hungern beginne, vielleicht
mehr Entschlossenheit haben als früher, infolge meiner größeren
Erfahrung und besseren Einsicht in die Notwendigkeit des
Versuches, aber meine Kräfte sind geringer, noch von damals her,
zumindest werde ich schon ermatten in der bloßen Erwartung der
bekannten Schrecken. Mein schwächerer Appetit wird mir nicht
helfen, er entwertet nur ein wenig den Versuch und wird mich
wahrscheinlich noch zwingen, länger zu hungern, als es damals
nötig gewesen wäre. Über diese und andere Voraussetzungen glau-
be ich mir klar zu sein, an Vorversuchen hat es ja nicht gefehlt in
dieser langen Zwischenzeit, oft genug habe ich das Hungern förm-
lich angebissen, war aber noch nicht stark zum Äußersten, und die
unbefangene Angriffslust der Jugend ist natürlich für immer dahin.
Sie schwand schon damals inmitten des Hungerns. Mancherlei
Überlegungen quälten mich. Drohend erschienen mir unsere
Urväter. Ich halte sie zwar, wenn ich es auch öffentlich nicht zu
sagen wage, für schuld an allem, sie haben das Hundeleben ver-
schuldet, und ich konnte also ihren Drohungen leicht mit
Gegendrohungen antworten, aber vor ihrem Wissen beuge ich
mich, es kam aus Quellen, die wir nicht mehr kennen, deshalb
würde ich auch, so sehr es mich gegen sie anzukämpfen drängt,
niemals ihre Gesetze geradezu überschreiten, nur durch die
Gesetzeslücken, für die ich eine besondere Witterung habe, schwär-
me ich aus. Hinsichtlich des Hungerns berufe ich mich auf das
berühmte Gespräch, im Laufe dessen einer unserer Weisen die
Absicht aussprach, das Hungern zu verbieten, worauf ein Zweiter
davon abriet mit der Frage: »Wer wird denn jemals hungern?« und
der Erste sich überzeugen ließ und das Verbot zurückhielt. Nun
entsteht aber wieder die Frage: »Ist nun das Hungern nicht eigent-
lich doch verboten?« Die große Mehrzahl der Kommentatoren
verneint sie, sieht das Hungern für freigegeben an, hält es mit dem
zweiten Weisen und befürchtet deshalb auch von einer irrtümli-
chen Kommentierung keine schlimmen Folgen. Dessen hatte ich
mich wohl vergewissert, ehe ich mit dem Hungern begann. Nun
aber, als ich mich im Hunger krümmte, schon in einiger Geistes-
verwirrung immerfort bei meinen Hinterbeinen Rettung suchte
und sie verzweifelt leckte, kaute, aussaugte, bis zum After hinauf,
erschien mir die allgemeine Deutung jenes Gespräches ganz und
gar falsch, ich verfluchte die kommentatorische Wissenschaft, ich
verfluchte mich, der ich mich von ihr hatte irreführen lassen, das
Gespräch enthielt ja, wie ein Kind erkennen mußte, freilich mehr
als nur ein einziges Verbot des Hungerns, der erste Weise wollte
das Hungern verbieten, was ein Weiser will, ist schon geschehen,
das Hungern war also verboten, der zweite Weise stimmte ihm
nicht nur zu, sondern hielt das Hungern sogar für unmöglich,
wälzte also auf das erste Verbot noch ein zweites, das Verbot der
Hundenatur selbst, der Erste erkannte dies an und hielt das aus-
drückliche Verbot zurück, das heißt, er gebot den Hunden
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