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Forschungen eines Hundes

Forschungen eines Hundes

Titel: Forschungen eines Hundes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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war die Wissenschaft zwar nicht widerlegt,
    denn sie hat genug Elastizität für Ausnahmen und Einzelfälle,
    aber was würde das Volk sagen, das glücklicherweise nicht so viel
    Elastizität hat? Denn es würde das ja auch kein Ausnahmefall von
    der Art sein, wie sie die Geschichte überliefert, daß etwa einer we-
    gen körperlicher Krankheit oder wegen Trübsinns sich weigert, die
    Nahrung vorzubereiten, zu suchen, aufzunehmen und dann die
    Hundeschaft in Beschwörungsformeln sich vereinigt und dadurch
    ein Abirren der Nahrung von ihrem gewöhnlichen Weg gerade-
    wegs in das Maul des Kranken erreicht. Ich dagegen war in voller
    Kraft und Gesundheit, mein Appetit so prächtig, daß er mich tage-
    lang hinderte, an etwas anderes zu denken als an ihn, ich unterzog
    mich, mochte man es glauben oder nicht, dem Fasten freiwillig,
    war selbst imstande, für das Herabkommen der Nahrung zu sor-
    gen und wollte es auch tun, brauchte aber auch keine Hilfe der
    Hundeschaft und verbat sie mir sogar auf das entschiedenste.
    Ich suchte mir einen geeigneten Ort in einem entlegenen
    Gebüsch, wo ich keine Eßgespräche, kein Schmatzen und
    Knochenknacken hören würde, fraß mich noch einmal völlig satt
    und legte mich dann hin. Ich wollte womöglich die ganze Zeit mit
    geschlossenen Augen verbringen; solange kein Essen kommen soll-
    te, würde es für mich ununterbrochen Nacht sein, mochte es Tage
    und Wochen dauern. Dabei durfte ich allerdings, das war eine
    große Erschwerung, wenig oder am besten gar nicht schlafen, denn
    ich mußte ja nicht nur die Nahrung herabbeschwören, sondern
    auch auf der Hut sein, daß ich die Ankunft der Nahrung nicht
    etwa verschlafe, andererseits wiederum war Schlaf sehr willkom-
    men, denn schlafend würde ich viel länger hungern können als im
    Wachen. Aus diesen Gründen beschloß ich, die Zeit vorsichtig ein-
    zuteilen und viel zu schlafen, aber immer nur ganz kurze Zeit. Ich
    erreichte dies dadurch, daß ich den Kopf im Schlaf immer auf ei-
    nen schwachen Ast stützte, der bald einknickte und mich dadurch
    weckte. So lag ich, schlief oder wachte, träumte oder sang still für
    mich hin. Die erste Zeit verging ereignislos, noch war es vielleicht
    dort, woher die Nahrung kommt, irgendwie unbemerkt geblieben,
    daß ich mich hier gegen den üblichen Verlauf der Dinge stemmte,
    und so blieb alles still. Ein wenig störte mich in meiner Anstrengung
    die Befürchtung, daß die Hunde mich vermissen, bald auffinden
    und etwas gegen mich unternehmen würden. Eine zweite
    Befürchtung war, daß auf die bloße Besprengung hin der Boden,
    obwohl es ein nach der Wissenschaft unfruchtbarer Boden war, die
    sogenannte Zufallsnahrung hergeben und ihr Geruch mich ver-
    führen würde. Aber vorläufig geschah nichts dergleichen, und ich
    konnte weiterhungern. Abgesehen von diesen Befürchtungen war
    ich zunächst ruhig, wie ich es an mir noch nie bemerkt hatte.
    Obwohl ich hier eigentlich an der Aufhebung der Wissenschaft
    arbeitete, erfüllte mich Behagen und fast die sprichwörtliche Ruhe
    des wissenschaftlichen Arbeiters. In meinen Träumereien erlangte
    ich von der Wissenschaft Verzeihung, es fand sich in ihr auch ein
    Raum für meine Forschungen, trostreich klang es mir in den
    Ohren, daß ich, mögen auch meine Forschungen noch so erfolg-
    reich werden, und besonders dann, keineswegs für das Hundeleben
    verloren sei, die Wissenschaft sei mir freundlich geneigt, sie selbst
    werde die Deutung meiner Ergebnisse vornehmen und dieses
    Versprechen bedeute schon die Erfüllung selbst, ich würde, wäh-
    rend ich mich bisher im Innersten ausgestoßen fühlte und die
    Mauern meines Volkes berannte wie ein Wilder, in großen Ehren
    aufgenommen werden, die ersehnte Wärme versammelter Hunde-
    leiber werde mich umströmen, hochgezwungen würde ich auf den
    Schultern meines Volkes schwanken. Merkwürdige Wirkung des
    ersten Hungers. Meine Leistung erschien mir so groß, daß ich aus
    Rührung und aus Mitleid mit mir selbst dort in dem stillen
    Gebüsch zu weinen anfing, was allerdings nicht ganz verständlich
    war, denn wenn ich den verdienten Lohn erwartete, warum weinte
    ich dann? Wohl nur aus Behaglichkeit. Immer nur, wenn mir be-
    haglich war, selten genug, habe ich geweint. Danach ging es frei-
    lich bald vorüber. Die schönen Bilder verflüchtigten sich allmäh-
    lich mit dem Ernsterwerden des Hungers, es dauerte nicht lange
    und ich war, nach schneller Verabschiedung aller Phantasien und
    aller Rührung,

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