Forstchen, William
Erschreckend mühelos brach der Krieger dem Mann das Genick und warf ihn weg.
Hans war langsamer geworden, um sich das anzusehen. Obwohl er solche Zwischenfälle im zurückliegenden Jahr hunderte Male miterlebt hatte, spürte er, wie Wut in ihm aufstieg. Er bemerkte, dass Ha’ark ihn ansah.
»Ich soll mithelfen, das weiterzuführen?«, knurrte Hans. »Bringen wir es lieber einfach hinter uns, du Bastard!«
Ha’ark gab ihm mit einem Wink zu verstehen, er solle ihm weiter folgen. Hans weigerte sich zunächst. Ha’ark richtete das Gewehrauf ihn.
»Nur zu, bringe es hinter dich.«
»Und was wird aus deiner Gefährtin?«
Hans musterte ihn schweigend. Wir sind so oder so verdammt. Wir täuschen uns nur selbst, wenn wir anderes erwarten.
»Komm. Tu mir den Gefallen und entscheide dann.«
Ha’ark wendete das Pferd und setzte den Weg fort. Hans blickte zu der Leiche hinab und sah, dass der Wachtposten ihn offen anblickte, lässig mit der Peitsche fuchtelte und deren Riemen kreuz und quer über die verformte Leiche zog. Tamira … Und wieder sah sich Hans im bitteren Widerstreit zwischen dem Gefühl der Liebe und tiefem Groll, weil Entscheidungen, was aus seinem Leben werden sollte, nicht mehr allein an ihm lagen.
Er riss heftig am Zaumzeug, schleuderte dem Bantagkrieger die übelsten englischen Flüche entgegen und galoppierte los, um Ha’ark einzuholen. Auf dem Gipfel der nächsten Anhöhe hatte Ha’ark sein Pferd wieder gezügelt. Vor ihm war das Zentrum des riesigen Bantagheeres aufmarschiert. Als die Sonne den Horizont berührte, wandten sich alle dem blutroten Licht der Abenddämmerung zu. Die Rufe der Sänger kamen mit der Brise, und Hans spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. So weit er blicken konnte, war die Steppe voll von Bantagkriegern, die ihre Schwerter zum Himmel reckten, damit die Klingen das letzte Licht des sterbenden Tages einfingen. Ha’ark blieb, seinem Rang gemäß, im Sattel sitzen und hielt statt eines Schwertes das Gewehr hoch; ein Heulen brach aus seiner Kehle hervor und vermischte sich mit den Rufen des Heeres.
Als die Sonne verschwunden war, drehten sich alle nach Osten, und innerhalb von Sekunden stieg der erste schwache Schimmer eines Mondes über den Horizont, unmittelbar darauf gefolgt von einem zweiten Mond eine Handspanne weiter rechts. Wilde Jubelrufe stiegen auf, begleitet von der seltsamen Untermalung einer Dampfpfeife und einer donnernden Kanone.
Ha’ark sagte zu Hans: »Heute ist die Nacht des Mondfestes. Das weißt du ja.«
Hans nickte.
»Soll ich dir die Namen der Gefangenen nennen, die ich bei den Merki eingetauscht habe?«
»Nicht nötig«, entgegnete Hans, der gut wusste, was jetzt kam.
»Darunter sind mehr als fünfzig Rus aus eurer Armee, gefangen genommen bei Hispania und bei den Scharmützeln, die auf den Rückzug der Merki folgten. Wir haben mehr als viertausend Cartha.« Er zögerte. »Und dich und deine – wie hast du sie noch gleich genannt? –, deine Gattin.«
Hans sah ihn an, während er fortfuhr: »Ich habe auch Hinsen, aber ich weiß, dass du nur zu gern sehen würdest, wie er beim Mondfest landet. Was die Übrigen angeht, unterbreite ich dir ein simples Angebot: Viele von ihnen arbeiten in den Eisenwerken, ein paar an der Eisenbahn und in den Waffenlagern. Wir haben sogar selbst hundert Gefangene gemacht bei den Scharmützeln mit eurer Armee in jenen Gebieten, die zwischen der Großen See und dem Binnenmeer liegen, wie ihr das nennt. Ich verspreche jedem einzelnen von ihnen das Leben, solange er bereitwillig mitarbeitet.«
»Oder?«
»Sie wandern noch in dieser Nacht zum Mondfest, falls du die Mitarbeit verweigerst.«
Hans saß schweigend da, innerlich zerrissen. Wäre es nur um ihn gegangen, dann kannte er die Antwort. Er hätte sie beinahe begrüßt. Warum ist Tamira in mein Leben getreten?, fragte er sich. In einem kleinen Winkel seiner selbst dachte er, dass die reizende junge Frau, die derzeit in der Jurte schlief, irgendwie im Bund mit der Horde stehen musste, dass man sie ihm zu genau diesem Zweck geschickt hatte: um ihn zu verführen. Aber er wusste, dass es so nicht sein konnte. Er hatte ihr zu oft in die Augen geblickt, hatte sie in zu vielen Nächten an sich gedrückt, um nicht ihre Liebe zu spüren und auch die eigene Liebe zu ihr, eine Liebe, von der er nie im Traum gedacht hätte, dass er sie mal erleben würde.
Aber wir könnten frei sein. Da wartete dann nur noch der letzte Augenblick des Grauens auf
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