Fortunas Odyssee (German Edition)
andere als angenehm, und die Jungen wurden manchmal zu riskanten Ausweichmanövern regelrecht gezwungen.
Am Ende des Rennens saßen beide still nebeneinander, Fred außer Atem, mit offenem Mund, und Tim mit trockenem Hals, den er durch häufiges Schlucken befeuchtete.
»Wenn die Welt heute untergehen würde«, fragte Fred, immer noch atemlos, »was würdest du tun?«
Tim hielt sich die Hand an den Hals und antwortete, während er zu den Bergen herüberschaute:
»Ich könnte gar nichts tun, denn sie würde ja untergehen.«
»Ich meine, wenn du vorher noch Zeit hättest, natürlich.«
»Ach so …«
Tim dachte kurz nach und schaute seinem Bruder tief in die Augen.
Fred kämpfte mit den Tränen, und es sah so aus, als würde er gleich anfangen zu weinen.
Tim sammelte sich, schaute wieder auf die Landschaft vor sich und dann erneut in die Augen seines Bruders. Fred konnte kaum noch die Tränen zurückhalten und bereitete sich schon auf eine hollywoodwürdige Umarmungsszene vor.
Tim schluckte und atmete tief durch, bevor er schließlich sagte:
»Ich würde einen Liter Wasser trinken.«
»Ach so«, sagte Fred und man konnte ihm seine Enttäuschung anmerken.
Bis heute verstehe ich nicht, warum die Menschen immer wieder gegen Jahresende von Weltuntergangsprognosen fasziniert sind. Viele ersuchen in Kirchen die Vergebung ihrer Sünden und erhalten Trost für ihre Angst vor dem Ende. Und die Fantasien, die sich um dieses Thema ranken, füllen die Taschen von Scharlatanen, die hinter sensationsgeilen Zeitungsartikeln oder schlecht geschriebenen Flugblättern stehen, auf denen eine »kostenlose« Lesung aus der Hand oder sonst irgend ein Unfug angeboten wird, der angeblich die Zukunft prophezeit. Dass dies keine Marotte der Neuzeit ist, beweist schon die Existenz des Orakels von Delphi - es hat schließlich Jahrtausende überdauert und existiert noch heute in den Köpfen der Menschen.
Es geht letzten Endes nur ums Geld, um sonst nichts. Die Menschheit verkauft sich, bewusst oder unbewusst, aber sie verkauft sich - meist für einen Pappenstiel.
Auf dem Nachhauseweg war die Rennstimmung vorbei. Beide traten ganz gemächlich in die Pedale und genossen diesen letzten Moment vor dem gemeinsamen Abendessen.
Eine Lektion: In einfachen Gegebenheiten kann Bedeutendes stecken. Und sie geschehen häufiger, als wir denken.
Kapitel 2
Eine Krise und eine wirtschaftliche Depression überschatteten das Land. Aufgrund der hohen Steuern verminderten sich die Exporte drastisch und natürlich sank auch die Binnennachfrage, weil es allerorten an Geld fehlte. Die Arbeitslosigkeit stieg an, während der Konsum deutlich zurückging. Dies hatte natürlich heftige Auswirkungen auf den Hutverkauf. Auf einen Hut kann man verzichten, auf Milch und Brot nicht. Die Anzahl der Arbeiter in der Fabrik schrumpfte im Nu auf die Hälfte.
Der Chef rief meinen Vater während der nachmittäglichen Kaffeepause in sein Büro.
»Sie haben mich rufen lassen, Herr Direktor?«
Der Mann hinter dem Arbeitstisch trug einen Kinnbart, einen feisten Bauch und ein rundes Gesicht. Er war Mitte sechzig und sein Blick hatte etwas Charismatisches an sich.
»Setzen Sie sich und lassen wir die Formalitäten«, meinte er schmunzelnd.
Papa strich mit den Fingern durch sein Haar und lächelte gezwungen. Er saß vor einem Mann, mit dem er lange Jahre zusammengelebt und -gearbeitet hatte, und obwohl er wusste, dass seine saloppe Art ehrlich gemeint war, konnte er sich nie entspannen, solange er sich in diesem Büro befand.
Sie waren oft zusammen angeln gewesen und gemeinsam in die Hauptstadt gefahren, wobei sie sich immer ungezwungen unterhalten hatten. Aber in dieser Situation fühlte sich mein Vater als Angestellter, was sich auch durch die saloppen Worte seines Chefs nicht änderte.
Der sympathische Chef reichte ihm eine Zeitung und zündete sich eine Zigarre an.
Der Blick meines Vaters fiel sofort auf die Schlagzeile.
Ausmaße der Krise größer als erwartet
»Wissen Sie, was das bedeutet?«, fragte er und schaute durch die Fensterscheibe hinunter auf die Arbeiter, die gerade ihre Pause mit einigen schnellen Zigarettenzügen beendeten. »Es scheint sich eine Lawine auf uns zubewegen.«
Papa wartete mit der Zeitung in der Hand auf eine nähere Erklärung.
Er bekam zu hören, dass die Preise der Zulieferer durch die hohen Steuern gestiegen seien, was sich auch auf die Preise seiner Hüte auswirkte, die sich deswegen immer schlechter verkaufen ließen. Aus
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