Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fortunas Odyssee (German Edition)

Fortunas Odyssee (German Edition)

Titel: Fortunas Odyssee (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliane Reinert
Vom Netzwerk:
Nachbarn hörten die Schreie, und obwohl sie einiges von diesem Ehepaar gewohnt waren, bekamen sie einen Schreck.
    Ohne sich vor der Dunkelheit zu fürchten, setzte sie ihren Weg fort, und hielt nur einige Male an, um sich am Sternenhimmel zu orientieren. Der Mond war in seiner abnehmenden Phase und erinnerte an einen lachenden Mund. Die alten Menschen sagen, dass diese Phase des Mondes geeignet ist, um Konfliktsituationen zu lösen, was Judith gerade getan hatte. Ich begleitete sie auf der Schotterstraße, die unter ihren festen Schritten zu zittern schien. Ein Pferdekarren näherte sich von hinten, und ich rannte zurück, um zu sehen, wer daraufsaß. Ich hatte Angst um ihr Leben, die sie seltsamerweise nicht teilte. Die Frau auf dem Karren hielt ihr Baby an den Körper gepresst und hatte Angst vor der Gestalt auf der Straße. Ihr Mann zündete eine Lampe an.
    »Wer ist da?«
    Judith verlangsamte ihre Schritte.
    »Eine Frau, mein Herr, eine Frau ohne Begleitung.«
    Wir stiegen auf den Karren und setzten die Reise gemeinsam fort. Während der Fahrt sprach sie wenig, aber als sie gefragt wurde, sagte sie, dass sie Witwe sei. Ich gab ihr Recht. In gewisser Weise war dieser Mann für sie gestorben, sie haben sich nie wieder gesehen.
    Er zerbrach den einzigen Spiegel im Haus, weil er den Anblick seines entstellten Gesichts nicht ertragen konnte, und weil er wusste, dass er selbst dafür verantwortlich war. Er schloss die Metzgerei, ging in Rente, hörte auf zu trinken und heiratete nicht wieder.
    Am ersten Tag der Ferien, die Wochen andauern würden, wurden Tim und andere Kinder in der Schule geehrt. Einige, weil sie sich durch gute Noten hervorgetan, andere, weil sie bei den Jugendspielen Medaillen gewonnen hatten. Während der Feierlichkeiten erhielt er zwei Fotos, die anlässlich seines ersten Platzes im Schwimmen gemacht worden waren. Das war sein Glück, denn Mama hatte nicht einmal Geld, um ein Foto zu kaufen. Auf einem war er mit Politikern und Funktionären zu sehen, die dem Fest beigewohnt hatten. Das andere Foto zeigte ihn auf dem Treppchen, wie er die Goldmedaille mit beiden Händen nach oben streckte. Auf keinem der Fotos war Roger Ray zu sehen.
    Die Kinder kamen wegen seiner Medaille auf ihn zu. Alle wollten sie sehen und berühren und wissen, wie man sich als Gewinner fühle. In einer Ecke des Schulhofs stand, grün vor Neid, Pinkel-João, der sich schwor, dem allen ein Ende zu setzen. Er musste nur den richtigen Zeitpunkt abwarten.
    Nach der Ehrung ging Tim zum Wasserfall, um ein Bad zu nehmen. Beim Schwimmen entspannte er sich.
    Als er aus dem Wasser stieg und sich anziehen wollte, sah er João mit seiner Medaille in der Hand am Ufer stehen. Er zog sich weiter an, ohne etwas zu sagen, und João lachte, bevor er die Medaille ins Wasser warf. Er hörte das klatschende Geräusch, als sie auf dem Wasserspiegel auftraf.
    »Sag tschüss zu deiner Medaille, Schlappmaul!«
    Sie sank nach unten und kam schließlich auf dem sandigen Grund auf. Vom Ufer aus konnte man sie sehen, denn sie schimmerte im Sonnenlicht. Als Tim ins Wasser sprang, um zu ihr hinunterzutauchen, sprang João auf ihn, und es begann eine Schlägerei im Wasser. Allmählich gerieten sie in tiefere Bereiche, ihre Schläge verursachten klatschende Geräusche und wurden vom Wasser gedämpft. Während sie miteinander kämpften, näherten sie sich immer mehr der Stelle, an der der kleine See zum Fluss hin abfiel. Tim hörte João rufen: »Ich mach’ dich fertig!«, und versuchte seinen Schlägen auszuweichen.
    »Das ist gefährlich!«, schrie ich. Aber der Einzige, der mich hörte, war der Hexer, der auf der anderen Seite des Wasserfalls saß.
    Die Strömung riss João zu einer Stromschnelle voller Steine. Dort endete der ruhige Bereich des Wasserfalls mit seinem kleinen See und ging in einen reißenden trügerischen Fluss über. Er hielt sich an einem Stein fest und versuchte, nichts von dem Wasser zu schlucken, das mit voller Wucht gegen sein Gesicht schlug. Tim hatte Glück und erreichte das Ufer. Er erkannte die Lage des anderen, und versuchte verzweifelt, ihm zu helfen.
    »João, halte dich fest!«, schrie er, als er ihm einen Zweig zuwarf, der zerbrach, als João nach ihm griff. Inmitten der Verzweiflung, die beide erfasst hatte, sah ich, wie Pinkel-João, Tims größter Feind, der Gewalt des Wassers nicht mehr standhielt und von der Strömung mitgerissen wurde. Tim schrie und rannte am Ufer entlang, soweit er konnte, bis er ihn aus den Augen

Weitere Kostenlose Bücher