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Fortunas Odyssee (German Edition)

Fortunas Odyssee (German Edition)

Titel: Fortunas Odyssee (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliane Reinert
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verloren hatte. Das Letzte, was wir sahen, waren seine weit aufgerissenen Augen, in denen die Todesangst stand.
    »Tun Sie etwas, bevor er ertrinkt!«, schrie ich zum Hexer hinüber, der weiter auf das Wasser starrte. »Das darf nicht passieren… Bitte!«
    Tim saß am Ufer und sagte schluchzend:
    »Vergib mir, João, für alles, was ich dir angetan habe. Ich habe dich eigentlich gemocht…«
    Ich sah, wie sich der Hexer die Tränen abwischte.
    »Meinen Sie wirklich, dass ich die Ereignisse beeinflussen kann?«, schrie er vom anderen Ufer zu mir herüber.
    »Nein«, antwortete ich, und legte mich neben Tim, der laut weinte.
    Ich schaute zum blauen Himmel über den Baumkronen, während ich hörte, wie das Kind neben mir weinte. Dann erinnerte ich mich an den Tag, an dem João von seinem Vater verprügelt worden war. Ich dachte daran, welchen Schock seine Mutter erleiden würde, wenn Sie von der Tragödie erfuhr, und welche Konsequenzen dieser Tod für Tim haben würde. Ewig würde er mit dieser furchtbaren Schuld leben müssen.
    »Er war nur ein Kind«, sagte ich zu mir selbst, denn ich hatte keine Lust auf eine Unterhaltung mit dem Hexer. »Er war kein Feind, sondern ein unschuldiges Wesen. Kinder streiten sich, aber dann vergessen sie es wieder; sie tun nichts aus Bosheit, sondern weil sie Kinderseelen haben.«
    Ich lief am Fluss entlang um ihn zu suchen, aber ich konnte nichts finden. Sein Körper war bestimmt weitgetrieben worden.
    Also beschloss ich, zurückzukehren.
    Ich strich mit der Hand durch Tims nasse Haare, während er weiterhin den Kopf zwischen seinen Knien hielt und die Schultern auf und ab bewegte. Ich umarmte ihn von hinten und fühlte seine Rückenwirbel an meinem Körper.
    »Pass auf dich auf, Junge«, sagte ich, als ob er nicht ich selbst wäre.
    Ich setzte mich etwas weiter weg, um mich zu konzentrieren. Ich versuchte, mich so gut es ging zu entspannen, und als mir das gelang, begann ich zu zählen.
    Ich zählte mit geschlossenen Augen und fixierte meine Gedanken auf das, was geschehen war. Als ich bei fünfzehn angekommen war, hörte ich das Geräusch von einem Gegenstand, der ins Wasser fiel.
    »Sag tschüss zu deiner Medaille, Schlappmaul!«
    Es war João, der gerade die Medaille ins Wasser geworfen hatte, während Tim seine Kleider anzog. Ich sprang auf.
    »Was ist das denn? Alles noch einmal?«, schrie ich.
    Ich lief zu Tim, schüttelte ihn mit aller Kraft und schrie ihn an, als ob er mich hören könnte.
    »Lass sie! Versuche nicht, sie zu holen. Bitte, tu’s nicht!«
    João wartete auf eine Reaktion, aber Tim zog sich ganz ruhig an, ohne sich um die Medaille zu kümmern, die vom Grund nach oben schimmerte.
    Ich schaute beide an, mein Blick wanderte hin und her. Ich hatte Angst vor ihren Reaktionen.
    »Lass dich nicht provozieren Tim!«, wiederholte ich.
    Er zog sich fertig an, lief zu seinem Fahrrad und warf einen letzten Blick zurück, bevor er losfuhr.
    »Diese Medaille ist mir egal. Sie wird mir kein bisschen fehlen!«
    João war genauso verblüfft wie ich. Ich setzte mich auf einen Stein und atmete erleichtert auf. Dann sah ich, wie João mit seinem Fahrrad langsam in eine andere Richtung fuhr, während Tim schon weit weg war. Ich dachte wiederholt über diese doppelte Szene nach. Wie war das möglich? Konnte ich doch die Dinge beeinflussen? Warum war es mir nicht vorher gelungen?
    Ich war perplex, und so unglaublich es klingt, war der Hexer nicht da, um mir weiterzuhelfen. Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich zurück gegen den Stein, den die Sonne dieses schönen Tages erwärmt hatte. An diesem Tag hatte ich zufällig entdeckt, dass ich die Geschehnisse ändern konnte. Ich dachte an den Tod meines Vaters und musste lachen. »Dieses Ereignis werde ich auch ändern«, war ich überzeugt. Ich schloss meine Augen und zählte… Als ich sie wieder öffnete, hatte sich nichts verändert. Ich schloss sie noch einmal, zählte und öffnete sie wieder. Nichts.
    Ich stieß irgendein Schimpfwort aus, und schon erschien der edle Hexer.
    Natürlich musste ich ihm nichts erklären, ich wartete nur darauf, dass er es mir erklärte.
    Er lächelte, aber dann wurde sein Gesicht ernst, und er setzt sich an meine Seite.
    Nachdem wir dort eine Weile schweigend gesessen hatten, begann er zu sprechen, als er merkte, dass ich mich beruhigt hatte.
    »Tim, Sie haben ein großes Herz.«
    Ich schaute ins Wasser und sah die Medaille schimmern. Ihr Band tanzte im Wasser wie der Schwanz eines Fisches, und das

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