Fortunas Odyssee (German Edition)
Lieblingsspeise? Und diese Reise, die wir geplant, aber nicht angetreten haben? Woher nimmt sich der Tod das Recht, sich für größer zu halten als wir und uns das alles zu nehmen?
Meine Vorbilder sind gegangen. Sie sind nicht mehr in den Filmen, schießen keine Tore mehr, singen nicht mehr…
Warum siegt der Tod am Ende immer – schweigend und unbarmherzig?
Er gewinnt immer.
Den Tod zu akzeptieren, ist eine große Herausforderung für die Menschen. Zu akzeptieren, dass er das Ende ist, ist eine noch größere Herausforderung.
Die Totenwache fand in unserem Haus statt. Tante Geórgia war erst am Abend eingetroffen. Sie sah Papa in einigen Gesichtszügen ähnlich. Ihr Blick war so lange auf den Sarg fixiert, dass ich glaubte, sie sei mit offenen Augen eingeschlafen. Sie war eine ruhige Frau, die langsam sprach und die Kinder herzlich umarmte.
Tim dachte an Terezas Großmutter. Es war unmöglich, diese Geschichte zu vergessen; durch sie war er in der Lage gewesen, sich so liebevoll von Papa zu verabschieden. Er hatte im richtigen Moment das richtige gesagt und hatte sogar die Seerose geholt, um die Papa ihn gebeten hatte. Er empfand deswegen gleichzeitig Traurigkeit und Stolz. Fred blieb die ganze Zeit, halb liegend, halb sitzend, im Bett, wo ihn seine Klassenkameraden, Tereza und Mama aufsuchten. Tim rückte jedes Mal die Seerose auf Papas Brust zurecht, wenn jemand seinen Körper berührt hatte.
Im Laufe des Abends kamen viele Menschen vorbei, weil Kita Klatschtante es sich nicht hatte nehmen lassen, auf ihrem Weg zum Zentralmarkt, wo sie Gemüse kaufte, allen, die ihren Weg kreuzten, von Papas Tod zu erzählen. Die Frauen hielten sich mit erschrockenen Gesichtern die Hände an den Mund, während die Männer ernsthaft dreinschauten. Dann fragten sie: »Woran ist er gestorben?«
Sie war stolz, dass sie im Besitz dieser Information war, und gab sie mit wichtiger Miene weiter. »An der schlechten Krankheit«, sagte sie. So ging das den ganzen Tag. Die Nacht war lang, traurig und ermüdend. Ich hörte geflüsterte und laut ausgesprochene Kommentare. »Der Arme, er ist so früh gegangen.« Ich fragte mich: ›Also haben die Alten den Tod eher verdient?‹ Dann überlegte ich mir, was sie sagen würden, wenn Papa älter gewesen wäre. »Der Arme, jetzt, wo er seine Rente genießen könnte, hat ihn diese verfluchte Krankheit erwischt!«
Andere benutzten das Klischee »Jetzt hat er Ruhe gefunden.« Als hätte er Ruhe gebraucht! Im Gegenteil, er war jung, hatte eine wunderbare Familie, liebte seine Frau und seine Kinder; er hatte Charakter, war fleißig und brauchte keine Ruhe. Er hatte sich nicht gewünscht, zu sterben.
Ich ging in das Zimmer, in dem er immer die Spielsachen repariert hatte. Dort betrachtete ich die Werkzeuge, die Handschuhe, die Stiefel, den Overall mit den Farbspritzern. Ich schaute auf die Holzbank und erinnerte mich, wie er sie an einem Sonntag im Garten hergestellt und Tereza ab und zu vorbeigeschaut hatte, um zu sagen, wie gut er seine Arbeit mache, Er hatte stolz gelächelt und sich wieder auf die Arbeit konzentriert.
Manchmal war er fröhlich mit einer großen Einkaufstüte nach Hause gekommen, die Mama gleich ausgepackt hatte, um zu sehen, ob diese oder jene Zutat dabei war, mit der die Suppe noch besser schmecken würde. Den Blumenstrauß hatte er auf dem Fahrrad gelassen, um ihn erst zu überreichen, wenn alle Einkäufe verstaut waren. Sie hatte dann immer mit einem besonderen Glanz in den Augen den Duft der Blumen eingesogen. Der Geruch der frischen Blumen und der wohlschmeckenden Suppe hatte das Haus erfüllt und war bis in den Garten gedrungen, wo Fred und ich spielten. Und wenn wir dann in der Küche angelangt waren, hatte Tereza unsere schmutzigen Hände angeschaut und sie als »schmutzige Wiesenhände« bezeichnet.
Am nächsten Morgen, bevor der Sarg geholt wurde, küsste ich Papas Stirn und sein Gesicht und weinte. Der Hexer legte seine Hände auf meine Schultern, und das gab mir etwas Trost. Ich sah meinen verstorbenen Vater und die Leute, die gekommen waren, um die Familienmitglieder zu umarmen und ihnen tröstende Worte zu übermitteln, aber ich selbst war allein. Ich konnte weder gehört noch umarmt werden, deshalb tat mir die Anwesenheit des Hexers gut.
Nach dem Begräbnis trug Mama schwarze Kleidung, wie es die Tradition vorsah. Sie lief in der Öffentlichkeit nur mit gesenktem Kopf und fühlte sich unbehaglich wegen der Blicke, die auf sie gerichtet wurden. Manche
Weitere Kostenlose Bücher