Fortunas Odyssee (German Edition)
los!«
»Nur wenn du sagst, dass du heute mir gehörst, sag es!«
Fred schaute sich um und dann wieder auf das Messer. Es fiel ihm schwer, zu atmen und seine Hände zitterten. Ich dachte daran, dass Tim zu Hause war und ich nicht die Möglichkeit hatte, die Fakten zu ändern. Es wäre unerträglich, zu sehen, wie mein Bruder von diesem Monster missbraucht würde, ohne etwas ausrichten zu können.
Ich schloss meine Augen, weil ich mich sträubte, an so viel menschliche Boshaftigkeit zu glauben, aber dann hörte ich das Geschrei des Pfarrers. Fred hatte ihm eine Flasche ins Gesicht geworfen und ihm anschließend mit aller Kraft in den Bauch getreten. Das Scheusal war stärker, muskulöser und größer als mein Bruder, aber zu seinem Glück war der Mann betrunken und fiel nach hinten. Fred stand rasch auf und schlüpfte in seine Schuhe. Padre Benedito kochte vor Wut, ergriff das Messer und stürzte sich auf ihn. Fred rannte in den Wald und der Kirchenmann hinter ihm her.
»Glaubst du, ich krieg’ dich nicht?«, schrie er.
Ein Zweig traf das Auge meines Bruders. Er stolperte und verstauchte sich den Fuß.
»Steh’ auf, schnell!«, schrie ich.
»Ich war Soldat. Ich komme gut in so einem Dickicht zurecht«, ereiferte sich der Mistkerl und kam auf ihn zu.
Fred stand schnell auf und rannte, so schnell er konnte, bis er, völlig außer Atem, an einem Felsabsturz zum Fluss anhalten musste.
Es gab keinen Ausweg, das Dickicht war undurchdringlich, voller Lianen, stacheligen Zweigen und giftigen Spinnen. Und unten gab es Treibsand und eine Schlucht, in der ein anderer, viel gewaltigerer Wasserfall mit schlammigem Wasser über enormen Felsbrocken toste. Dorthin zu geraten, bedeutete den sicheren Tod.
Er hatte nicht mehr viel Zeit und musste eine Lösung finden, obwohl es keinen Ausweg gab. Wohin er sich auch wendete, war es gefährlich.
Aber welche Richtung war weniger gefährlich?
Ich dachte in diesem Moment an Tim. Was würde er anstelle seines Bruders tun? Fred war immer etwas langsamer, während Tim die Gefahr schneller erkannte. Tim hätte es vielleicht riskiert, vom Felsen herunterzuspringen, was für Fred nicht infrage kam. Und genau aus diesem Grund tat er das einzig Richtige. Zu springen, war ein Kamikazeunternehmen. Ins Dickicht zu rennen, bedeutete, in eine Falle zu tappen und vom Pfarrer erwischt zu werden, was mit Sicherheit seinen Tod besiegelt hätte.
Klugerweise wählte Fred den Baum, der vor ihm stand, als Fluchtweg aus. Allerdings beging er den Fehler, seine Schuhe auszuziehen, weil er dachte, dass er ohne sie besser klettern könne. Hätte er sie doch wenigstens mitgenommen!
Der Pfarrer kam an, sah sofort die Schuhe, schaute nach oben und lachte. Dort umklammerte mein Bruder einen Ast, der von einer dornigen Kletterpflanze umrankt war. Aber eins war klar: Der Padre war nicht in der Lage, wie ein Leopard bis dorthin zu klettern. Fred war jünger, schlanker und agiler, und das war seine Rettung.
»Komm ’runter, mein Sohn, ich tu dir nicht weh.«
Er erhielt keine Antwort.
»Komm schon, Fred, lass uns reden«, sagte er und hielt mit festem Griff das Messer hinter seinem Rücken.
»Werfen Sie zuerst das Messer in den Fluss!«
Der Kirchenmann schüttelte sich vor Lachen.
»Hast du etwa Angst? Ich werde dir nicht wehtun.«
»Ich komme nur ’runter, wenn Sie das Messer wegwerfen.«
»Beweise dein Vertrauen in mich. Ich werfe das Messer nicht weg, du kommst ’runter und alles ist in Ordnung.
»Das ist gelogen, Fred, bleib oben!«, rief ich und umkreiste diesen Wahnsinnigen. Jedes Mal, wenn er Fred bat, herunterzukommen, drückte er mit seiner Hand den Messergriff. Der Ast bog sich leicht unter Freds Gewicht und er erinnerte an einen Affen, der versucht, den Klauen eines Raubtiers zu entkommen. Ja, sie waren wie Jäger und Beute, es ging um Tod oder Leben.
Der Padre ging noch einige Schritte zurück, um Fred besser sehen zu können, aber dann trat er ins Leere, verlor das Gleichgewicht und stürzte den Felsvorsprung hinunter. Wir hörten seinen letzten Schrei. Fred schloss die Augen und fing an zu weinen. Mama und Tereza riefen seinen Namen und er antwortete.
Plötzlich trat der Hexer in Szenerie. Er streckte seinen Hals aus und schaute hinunter zum Fluss.
»Gute Reise zur Hölle, Padre«, wünschte er mit einem zynischen Lächeln.
In der Nacht hatte mein Bruder viele Albträume. Und auch in den darauffolgenden Nächten hatte er Schwierigkeiten, einzuschlafen. Er wachte jedes Mal
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