Fortunas Odyssee (German Edition)
dann ist er weder Gott noch Vater, er existiert nicht. Ob ich ins Fegefeuer oder direkt in die Hölle komme, weil ich mir das Leben genommen habe, ist für mich nicht relevant, denn ich lebe ohnehin schon in der Hölle.
Ich bitte nur dich um Vergebung, meine geliebte Mutter. Du sollst wissen, dass ich dich immer lieben werde.
Dein Sohn Bitu.«
Eine Lektion: Das Leben ist ein ständiger Kampf zwischen unseren Träumen einerseits und der Bewältigung der Herausforderungen, die sich uns stellen, andererseits. Der erste Punkt ist die Grundlage des Zweiten, wobei wir nur siegen können, wenn wir uns unserer Kraft bewusst sind.
Kapitel 4
Ein weiteres Jahr verging und Mama war am Ende, sie wusste nicht mehr, wie sie die Familie ernähren sollte. Sie Hatte fast die gesamte Einrichtung des Hauses zu Geld gemacht.
Stühle, Sofas, Tische und Schränke verschwanden allmählich aus dem Haus. Tim und Fred weinten über den Verlust ihrer Fahrräder und empfanden eine gewisse Eifersucht, als der Besitzer des Hotels kam, um sie abzuholen. Er hatte einen Sohn und eine Tochter, und Tim hoffte inständig, dass das Mädchen sein Fahrrad bekäme, weil er glaubte, dass es so länger halten würde. Wir fanden Käufer für alles, was wir hatten, nur die Standuhr wollte Mama keinesfalls versilbern, weil glückselige und melancholische Erinnerungen mit ihr verbunden waren.
Ich hörte, wie sie folgende Worte zu Tereza sagte:
»Ich werde nie den Tag vergessen, an dem Opa mir diese Standuhr geschenkt hat.«
Sie behandelte diese Uhr beinahe wie einen Menschen. Für sie besaß sie eine Seele und sie behauptete, dass ihre Schläge uns sagen würden, wie viel wir noch für uns selbst tun müssten, bevor unsere Zeit abgelaufen sei.
Tereza schaute einige Sekunden auf die Uhr und brach anschließend das Schweigen.
»Heilige Jungfrau! Mir läuft es kalt den Rücken runter.«
Wir aßen jeden Abend Gemüse, entweder als Beilage oder als Suppe. Manchmal gab es Brot, Hühnerinnereien oder Obst, das uns ein Nachbar gegeben hatte. Unser Garten war teilweise in einen Gemüse- und Obstgarten umgewandelt worden, was den ärgsten Hunger abwendete. Tim brachte Tereza zur Weißglut, weil er nicht abwartete, wie die Tomaten heranwuchsen, sondern sie aufaß, als sie noch grün waren. Sie beschwor die schlimmsten Plagen herauf und malte ihm aus, wie er den ganzen Tag mit Durchfall auf der Toilette verbringen würde. Er hatte seinen Spaß, wenn er sie so sah, denn er erinnerte sich daran, wie sein Vater über ihre gespielten Wutausbrüche gelacht hatte.
An einem frischen Nachmittag kündigte der Apotheker Aristeu Mama seinen Besuch an, indem er vor der Haustür laut in die Hände klatschte. Sie bat ihn nicht, sich zu setzen, denn wir hatten kein Sofa mehr, aber das schien ihn nicht zu stören. Er brachte Mama die Nachricht, auf die sie so sehnlich gewartete hatte: Es gab Arbeit für sie.
»Es ist die Zeit der Kaffee-Ernte, und ich habe gehört, dass Seu Genésio Arbeitskräfte braucht.«
»Also, ich habe niemals Kaffee geerntet, aber…«
»Das lernen Sie. Ich kenne Leute, die dort vorübergehend gearbeitet haben und am Anfang nicht die geringste Erfahrung hatten. Die Angestellten dort sind freundlich und geben sich Mühe, den Neulingen alles Notwendige beizubringen.«
»Ja«, sagte Mama, während er sprach. Ich erkannte in ihren Augen einen Hoffnungsschimmer nach einer so langen Zeit des Wartens.
Tereza bestand darauf, mitzugehen, denn sie wollte auch arbeiten, obwohl Mama es lieber gesehen hätte, wenn sie weiter zu Hause für uns sorgen würde.
Sie gingen zum Laden und erinnerten sich an die Zeiten, als sie ihn nur betreten hatten, um dort einzukaufen. Sie schauten sich um und sahen die überquellenden Regale. Früher hatten sie sich am meisten für die Regale mit Nähzubehör interessiert, aber damals hatten sie noch andere Lebensbedingungen. Heute konnten sie es sich nicht leisten, irgendetwas zu kaufen, nicht einmal eine einfache Nähnadel. Tereza lief das Wasser im Mund zusammen, als sie die Würste sah, die über ihrem Kopf an Schnüren von der Decke hingen. Mama riss ihren Blick von den Waren los und besann sich auf den Grund ihres Besuchs.
Genésio verpackte gerade irgendetwas für einen Kunden und sah, wie Mama unruhig ihre Füße bewegte und die Hände auf dem Rücken hielt, um ihre Nervosität zu verbergen. Sie hatte niemals arbeiten müssen, schon gar nicht bei der Kaffee-Ernte – eine Arbeit, die Geschick und Erfahrung voraussetzte.
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