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Fortunas Odyssee (German Edition)

Fortunas Odyssee (German Edition)

Titel: Fortunas Odyssee (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliane Reinert
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schätzten, dann war es seine diskrete Art. Ein diskreter Mensch gewinnt leicht das Vertrauen anderer.
    Ihr Vetter hatte einen Eilbrief geschickt, in dem er sie bat, so schnell wie möglich zu ihm in die große Stadt zu kommen. Er hatte in einem Prozess für einen Unternehmer gearbeitet,
    dessen Frau ein Baby erwartete und ein erfahrenes Kindermädchen suchte.
    Daraufhin hatte er seinem Kunden von Tereza erzählt, und der Mann wollte sie anstellen.
     beendete er den Brief.
    Zwischen den Betttüchern, die auf der Wäscheleine im Wind schaukelten, sah Mama Kalugas Schatten. Er kam hinter einem Tuch hervor, das seinen Kopf streifte.
    »Du solltest nicht hier sein…«
    »Das ist mir egal.«
    »Aber es ist gefährlich.«
    »Warum?«
    »Man könnte uns sehen.«
    »Na und?«
    »Sie könnten…« Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
    Na und? Er war nicht verheiratet, und sie war Witwe.
    Sie drehte ihm den Rücken zu, um mit ihrer Arbeit fortzufahren. Er blieb dort und betrachtete ihre eleganten Bewegungen.
    »Bitte, geh.«
    Er gehorchte.
    Am nächsten Tag fuhr sie früher als sonst nach Hause; Rufino nahm sie mit in die Stadt.
    Tereza zeigte ihr den Brief und packte ihre Sachen zusammen, um am nächsten Tag zu verreisen. Ihr Koffer war klein, es war derselbe, mit dem sie in dieses Haus gezogen war. Er war verstaubt, aber intakt. Tereza vertraute ihr Schicksal ihrem Vetter an. Als sie noch Kinder waren, hatten sie sich oft gesehen, denn Terezas Onkel hatte mit seinen Kindern in den Ferien oft das Haus meiner Oma besucht, wo die Kinder miteinander spielten.
    Es war an der Zeit, zu gehen. Der Abschied war schmerzlich. Damals waren vierhundert Kilometer eine unvorstellbar lange Distanz, die Menschen voneinander trennte – oft für immer.
    Mama und Tim begleiteten sie bis zum Bahnhof. Als der Zug ankam, bat er um ein Taschentuch, um seine Tränen zu verbergen. Überall sah man Menschen, die Ähnliches wie er durchmachten. Leute, die dabei waren, einen wertvollen Gefährten zu verlieren, den Sohn, den Vater, einen Bruder, einen Freund…
    Eine Menge von Verlierern, die wussten, dass dieser Abschied endgültig sein konnte; trotzdem ließen sie sich diesen letzten Augenblick nicht nehmen.
    »Bis bald!«, riefen einige und wischten sich Tränen der Besorgnis und der Angst ab.
    »Schreib’ uns«, baten andere.
    So war es auf diesem Bahnhof: ein »bald«, das vielleicht »nie« bedeutete; ein »schreib’ uns«, das womöglich nie befolgt wurde.
    Der Zug hielt.
    Mama umarmte Tereza und befeuchtete mit ihren Tränen das grüne Kleid, das Papa ihr geschenkt hatte. Heute brauchte Tereza nicht mehr den Atem anzuhalten, denn ihr Kleid war weit geworden. Alle zu Hause hatten abgenommen, und Tereza war der Gewichtsverlust am deutlichsten anzusehen.
    Als der Schaffner pfiff, schauten sie und Tim sich an. Beide hatten einen Riesenkloß im Hals und das Einzige, wozu sie in der Lage waren, war eine Umarmung.
    Ein Abschied bedarf nicht immer vieler Worte, genauso wie die Liebe. Etwas anderes spricht für uns, eine Berührung, ein Blick. Bei Terezas Abschied war es nicht anders.
    Noch ein Pfiff, und sie stieg eine Stufe nach oben, hielt an, blickte zurück und winkte.
    Der Abschied ist wie ein feuriges Schwert, das schneidet, brennt und schreckliche Schmerzen verursacht.
    Ich sah, wie Mama und Tim sich gegenseitig stützten. So standen sie und schauten dem Rauch nach, der aus dem Schornstein stieg und einen dunklen Streifen am Himmel bildete, der sich mit jeder Träne weiter verflüchtigte. Sie blieben noch auf dem Bahnhof. Es war die Angst, zurückzugehen. Die Angst, in das leere Haus zu treten und in jedem Winkel mit unerträglichen Erinnerungen konfrontiert zu werden, war groß.
    Mama hielt im Mercadinho do Genésio an. Sie wollte mit ihm über die Möglichkeit sprechen, Tim mit auf die Fazenda zu nehmen. Ihr Gesicht konnte ihre Trauer nicht verbergen, und ihre Augen waren geschwollen.
    »Das geht in Ordnung«, antwortete er und warf einen Blick auf Tim.
    »Meine Schwester ist gerade abgereist…« Sie fing wieder an, zu weinen.
    Er wartete, bis sie sich gefangen hatte und schaute zur Decke seines Ladens.
    »… und er kann nicht allein in der Stadt bleiben,« schloss sie ihren Satz ab.
    »Die Fazenda steht Ihnen zur Verfügung. Tun Sie, was Sie für richtig halten«, beruhigte er.
    »Sie sind ein guter Mensch, Seu Genésio.« Er zeigte ein leichtes Lächeln und zog dabei einen Mundwinkel nach oben.

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