Fortunas Tochter
in denen die Laster blühten. Dann wurde für eine Stunde der Alkohol– ausschank eingestellt, Spielkarten wurden weggesteckt, und die unanständigen Bilder wurden umgedreht, während die Männer die Ermahnungen des Seelenhirten wegen ihrer Sünden und Ausschweifungen zu hören bekamen. An der Brüstung der Galerie darüber standen die zur Zeit unbeschäftigten Mädchen und hielten der Kopfwäsche in stoischer Ruhe stand, sie hatten ja den Trost, daß in einer Stunde alles wieder seinen normalen Lauf nehmen würde. Solange es mit dem Geschäft nicht bergab ging, machte es ihnen nicht viel aus, wenn diejenigen, die sie fürs Huren bezahlten, sie hinterher beschuldigten, daß sie Geld dafür genommen hatten, als wäre das Laster nicht auf Seiten der Männer, sondern auf Seiten der Versucherinnen. Zwischen den anständigen Frauen und denen vom liederlichen Leben war eine klare Grenze gezogen. Einige Täubchen, die es satt hatten, den Sheriff zu bestechen und Demü– tigungen hinzunehmen, packten ihre Koffer und zogen woandershin, wo sich früher oder später der ganze Ablauf wiederholte. Der Einfall, einen wandernden Dienst einzu– richten, bot den Vorteil, der Verfolgung durch die Ehe– frauen und die Seelsorger auszuweichen, außerdem erstreckte sich der Horizont bis in die fernsten Gegenden, wo man das Doppelte berechnen konnte. Das Geschäft gedieh bei gutem Wetter, aber nun stand der Winter vor der Tür, bald würde es schneien und die Wege würden nicht mehr zu befahren sein; dies war eine der letzten Touren der Karawane in diesem Jahr.
Die Wagen zockelten die Straße hinunter und hielten am Dorfausgang an, begleitet von einer Prozession Männer, die sich nach genossenem Alkohol plus Bärenkampf höchst draufgängerisch fühlten. Eliza ging hinterher, um diese neue Erscheinung von nahem zu sehen. Sie begriff, daß es ihr heute an Kunden für ihr Briefschreibegeschäft fehlen werde, sie mußte eine andere Form finden, um sich ihr Essen zu verdienen. Unter dem wolkenlosen Himmel boten sich mehrere Freiwillige an, die Maultiere auszu– spannen und ein jämmerlich verschrammtes Klavier her– unterzuheben, das sie auf dem Gras abstellten nach den Anweisungen von Madame, die alle unter dem sinnreichen Namen Joe Bonecrusher kannten. Im Nu räumten sie ein Stück Erdboden frei, stellten Tische auf, und da erschienen auch schon wie von Zauberhand Flaschen mit Rum und Bilder von nackten Frauen, dazu zwei Kisten mit Büchern in billigen Ausgaben, angekündigt als »Schlafzimmer– romane mit den heißesten Szenen aus Frankreich«. Sie wurden zu zehn Dollar das Stück verkauft, ein lächerlicher Preis, denn mit ihnen konnten sie sich erregen, sooft sie wollten, und sie auch noch ihren Freunden leihen, sie waren viel rentabler als eine wirkliche Frau, erklärte die Bonecrusher, und zum Beweis las sie einen Abschnitt vor, dem das Publikum in Totenstille lauschte, als wäre es eine prophetische Offenbarung. Erst nach einer Andachtspause brach ein Chor von Gelächter und dreckigen Witzen los, und nach wenigen Minuten war kein einziges Buch in den Kisten zurückgeblieben. Inzwischen war der Abend ge– kommen, und sie mußten das Fest mit Fackeln beleuchten. Die Madame gab den exorbitanten Preis der Flaschen Rum bekannt, aber mit den Mädchen tanzen kostete ein Viertel davon. »Gibt’s hier einen, der auf dem verdammten Klavier spielen kann?« fragte sie. Da ging Eliza, der der Magen knurrte, ohne zweimal nachzudenken zu dem verstimmten Klavier, setzte sich davor und rief Miss Rose an. Sie hatte seit zehn Monaten nicht mehr gespielt, und ein gutes Gehör hatte sie auch nicht, aber das jahrelange Üben mit dem Metallstab am Rücken und die Rutenstrei– che ihres belgischen Lehrers auf die Hand kamen ihr zur Hilfe. Sie begann mit einem der pikanten Lieder, die Miss Rose und ihr Bruder, der Kapitän, im Duett gesungen hatten in jenen unschuldigen Zeiten der musikalischen Abendgesellschaften, bevor das Schicksal zugeschlagen und ihr Leben auf den Kopf gestellt hatte. Erstaunt merkte sie, wie gut ihr unbeholfenes Spiel aufgenommen wurde. In weniger als drei Minuten war eine Fiedel zur Hand, um sie zu begleiten, und nun ging der Tanz richtig los, und die Männer rissen sich um die vier Frauen, um mit ihnen auf dem improvisierten Tanzboden herumzuschieben und zu hopsen. Der Riese mit den Wolfsfellen nahm Eliza den Sombrero ab und stellte ihn umgekehrt auf das Klavier mit einer so entschlossenen Bewegung, daß keiner wagte, ihn
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