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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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daß sich der Zustand meiner Mutter verschlimmerte – ich erriet es an dem traurigen Gesicht von Alazaïs, wenn sie aus der Küche die Speisen für meinen Vater und die heiße Milch für die Kranke holte.
    Acht Tage waren so schon vergangen, als mein Vater mich in das kleine Kabinett rufen ließ, das ihm jetzt als Schlafkammer diente. Er saß an einem kleinen Tisch, die Ellenbogen aufgestützt und die Hände vor dem Gesicht. Er rührte sich nicht, alsich eintrat, und verwundert über seine Bewegungslosigkeit – sonst war er immer so lebhaft und rege –, blieb ich vor ihm stehen und wagte kaum zu atmen, das Herz voller Bangigkeit, da ich ihn so anders sah. Noch mehr erschrak ich, als er schließlich, meine Gegenwart verspürend, die Hände von seinem Angesicht nahm und ich seine Augen sah, daraus ihm die Tränen eine um die andere über die schlecht barbierten Wangen flossen. Ich starrte ihn fassungslos und ungläubig an, mir zitterten die Knie, ich fühlte eine fürchterliche Leere in der Brust und war ganz verwirrt im Kopf, schien doch die festgefügte Welt, in der ich bis jetzt gelebt, plötzlich auseinanderzubrechen, als ich meinen Helden weinen sah.
    »Pierre«, sprach mein Vater mit schwacher und tonloser Stimme, »Eure Mutter liegt im Sterben und verlangt Euch zu sehen. Ich werde nicht mit Euch kommen. Sie wünscht Euch allein zu sprechen.«
    Er erhob sich, und als er stand, war er sich in seiner Haltung und seinem Aussehen so wenig ähnlich, schien unversehens schwach, alt, gebeugt und, schlimmer noch, auch ungepflegt – er hielt sonst so auf Sauberkeit und sorgfältige Kleidung –, daß mich sein Anblick schier ebenso bekümmerte wie die traurige Mitteilung, die er mir gemacht hatte. Als wäre ihm jede Bewegung unerträglich, wies er mit schwacher Gebärde auf die Tür, die in das Zimmer meiner Mutter führte; bleich, vor Erregung schwitzend, die Augen gesenkt (ob der Scham und der Angst, welche ich angesichts seiner Schwäche empfand), ging ich an ihm vorbei und trat ein.
    Die Gefaßtheit meiner Mutter gab mir wieder innere Festigkeit, obwohl ihr Angesicht, auch für mich erkennbar, schon vom Tode gezeichnet war: ihre Augen waren eingesunken, die Wangen eingefallen, der Blick irr und fiebrig. Nichtsdestoweniger war sie herausgeputzt mit den künstlichen Farben der Schminke, das Haar mit größter Sorgfalt gelockt, die Stirn hochmütig wie immer.
    »Setzet Euch, Pierre«, sprach sie mit schwacher, aber deutlicher Stimme. »Mir verbleibt nur noch wenig Kraft und wenig Zeit. Meine Sinne schwinden, der Blick wird mir trüb.«
    Ich ließ mich auf einen kleinen Schemel nieder, darauf wohl auch mein Vater seit einer Woche lange Stunden gesessen hatte, das Herz voller Kummer und Gram von ihrem Anblick.
    »Pierre«, sprach Isabelle weiter, »als ich Jean de Siorac zum ersten Mal begegnet bin, trug ich eine Medaille der Jungfrau Maria um den Hals. Ich möchte, daß Ihr sie von mir annehmt und Euer ganzes Leben lang um meiner Liebe willen traget.«
    Ich blieb stumm, so sehr war ich bestürzt ob der Ungeheuerlichkeit dessen, was sie mir da abverlangte.
    »Pierre, Pierre!« sprach sie mit fieberhafter Ungeduld, sich etwas aus den Kissen aufrichtend, »mir verbleibt nur noch wenig Zeit. Zögert nicht mit Eurer Antwort. Nehmet Ihr sie an von mir?«
    »Ich nehme sie an von Euch. Doch gebührt dies Geschenk nicht eher meinem älteren Bruder?«
    »Nein«, erwiderte sie, in ihre Kissen zurückfallend und die Augen schließend. »François hat keinen Charakter. Er würde sie nicht tragen.«
    Sie streckte mir ihre geschlossene linke Hand entgegen, ich griff danach, öffnete sie und fand darinnen die Medaille mit der Kette.
    »Legt sie um«, sprach meine Mutter, die Augen wieder öffnend.
    Ich knöpfte mein Wams auf und gehorchte und hatte gleichwohl ein Gefühl, als beginge ich an meinem Vater so finsteren Verrat, daß ich mir nie mehr guten Gewissens ins Angesicht schauen könnte.
    Isabelle blinzelte mit ihren eingesunkenen, fiebrigen, schon wirren Augen und sprach mit erlöschender Stimme:
    »Ich sehe sie nicht. Tragt Ihr sie wirklich um den Hals?«
    »Ja, ganz gewiß.«
    »Und werdet Ihr sie immer tragen, wie ich es Euch gesagt?«
    »Ja.«
    Mit einer schwachen Handbewegung bedeutete sie mir, zu gehen, und schon im Gehen begriffen, sah ich, wie sie mich unversehens mit einem Lächeln anschaute, welches nicht das einer Mutter, sondern das eines liebenden Weibes war. Es erstrahlte voll Zärtlichkeit auf ihrem vom Tode

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