Fortune de France: Roman (German Edition)
darstellte. Sie war von gleicher Abmessung, doch viel dunkler, denn sie ward nur an ihrem unteren Ende durch die abgewinkelten Schießscharten erhellt. Samson war mir gefolgt,und ehe wir die drei Riegel der Fußgängertür öffneten, er auf der linken, ich auf der rechten Seite stehend, verbargen wir die Dolche auf dem Rücken, wie wir es von unserem Vater gelernt. Ich machte die Türkette fest, und durch den engen Spalt, den sie freigab, fand Sarrazine in gebückter, seitlicher Haltung Einlaß. Ich packte sie am Arm, setzte ihr den Dolch an die Kehle und befahl ihr, sich nicht zu rühren, bis Samson die Tür wieder geschlossen. Dann ergriff Samson ihren anderen Arm, drehte ihn auf den Rücken und sprach, die Klinge an ihr Schulterblatt gedrückt, daß ich sie jetzt durchsuchen würde. Was ich zunächst, den Dolch wegsteckend, gewissenhaft tat, beginnend mit dem kleinen Weidenkorb in ihrer Hand, der jedoch leer war. Als sich indes beim Abtasten der wenigen Kleidung – die noch dazu durchlöchert war – erwies, daß keine Waffe darunter verborgen, nahm meine Durchsuchung an Länge zu, was sie an Harschheit verlor.
Sich hin und her windend, fing Sarrazine zu lachen an und fixierte mich mit ihren glänzenden Augen unter dem pechschwarzen Haar.
»Sapperment, junger Herr«, sprach sie mit rauher Stimme, »was seid Ihr groß geworden in den vier Jahren, nach der Art zu urteilen, wie Ihr mich durchsucht! Sagt Euerm rothaarigen Bruder, er soll mich nicht so in den Rücken pieken.«
Sich in den Hüften wiegend, setzte sie lachend hinzu: »Ich habe keine anderen Waffen bei mir als jene, die das Verderben der Männer sind.«
»Doch davon nicht zu knapp!« sprach ich mit einem begehrlichen Blick. »Steck deine Waffe weg, Samson, und zieh das Fallgatter hoch«, fuhr ich dann fort, Sarrazine noch immer am Arm haltend – nicht aus Notwendigkeit, sondern weil er sich angenehm anfühlte und ich höchstlich erfreut war, ein neues Gesicht zu sehen in diesen Zeiten, da wir wegen der Wirren draußen und wegen des Urteils, das uns für vogelfrei erklärt hatte, so schauerlich in unserer Burg gefangensaßen: kein Gedanke, ihre schützenden Mauern zu verlassen oder sich gar nach Sarlat zu begeben, allwo die fanatischsten Papisten wieder die Oberhand gewannen.
Nachdem das Fallgatter hochgezogen und wieder herabgelassen und ich Escorgol ein beruhigendes Zeichen gegeben, schwankte ich einen Augenblick, ob ich Sarrazine zu Sauveterreoder zu Jean de Siorac führen sollte; ich entschied mich für den letzteren, konnte ich mir doch denken, welch griesgrämige Miene der Graukopf beim Anblick der Jungfer aufsetzen würde, wohingegen mein Vater sie ergötzlich fände und er uns auch nicht von der Unterredung ausschließen würde. Zudem war mir aufgefallen, daß sie trotz ihres löcherigen Hemdes und ihrer staubbedeckten nackten Füße sehr sauber war: ihr Haar glänzte, ihr Atem war rein, es gab nichts, was die feine Nase meines Vaters hätte beleidigen können.
Ich führte also die Jungfer in die Bibliothek und vermeldete meinem Vater, wer sie sei.
»Gott zum Gruß, Sarrazine. Ich habe viel von dir gehört in diesen vier Jahren!« sprach Jean de Siorac, sich erhebend. Und während er die Jungfer anblickte, verschwand aus seinen blauen Augen für kurze Zeit die Traurigkeit. Was führt dich hierher?« fuhr er mit seiner alten Leutseligkeit fort.
»Eine Klage, Moussu lou Baron«, erwiderte Sarrazine mit einem so tiefen Knicks, daß sich ihr durchlöchertes Hemd bis zur Taille öffnete, welchen Anblick ich mir ebensowenig entgehen ließ wie mein Vater.
Und mit gesenkten Augen fügte sie hinzu:
»Euer Steinhauer Jonas hat mir Gewalt angetan.«
»Hoho!« rief mein Vater mit gespielter Entrüstung. »Das wäre ja ein Kapitalverbrechen und müßte mit dem Strick gesühnt werden! Wo hat sich dies denn zugetragen? In der grünen Aue, auf hohem Berg oder in tiefem Tal?«
»In seiner Höhle«, antwortete Sarrazine, die Lider scheinheilig gesenkt.
»Und was tatest du in seiner Höhle, du Ärmste?« fragte Jean de Siorac.
»Ich wollte seine Wölfin sehen, weil jeder sagt, es sei ein Wunder, wie er sie gezähmt.«
»Ein Wunder ist auch«, entgegnete mein Vater lachend, »daß du barfuß die fünf Meilen von Volperie bis zu Jonas’ Höhle gelaufen bist, nur um diese Wölfin zu sehen! Hatte dich Jonas zu Gast geladen?«
»Nein, nein, Herr Baron. Ich hatte ihn nicht wieder gesehen, seitdem er mich von dem Pfosten gebunden, an den mich der
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