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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Korn gegen die Kraft ihrer Arme verkaufen. Sie begleichen dann ihre Schuld durch Tagewerke, und wir werden bei der Heu- und Getreideernte oder beim Wegebau weniger für Tagelöhner ausgeben müssen.«
    Mein Vater senkte den Kopf und blickte mit sorgenumwölkter Stirn und trauriger Miene auf seine Stiefel.
    »Also wird für uns alles zu Brot und Honig«, sprach er nach einem Weilchen, »auch die Trockenheit. Alles wendet sich zu unserem Nutzen, vermehrt unseren Besitz. Mir will freilich scheinen, mein Bruder, daß wir zu sehr vom Elend dieser Zeiten profitieren.«
    »Wir haben das Elend nicht verschuldet«, sagte Sauveterre, »und erinnert Euch bitte der Worte Calvins: ›Es ist eine besondere Gnade Gottes, wenn wir mit unserem Verstande auszumachen vermögen, was uns einträglich ist.‹«
    »Gewiß, gewiß!« wandte mein Vater ein. »Aber die Armen werden dadurch immer ärmer und Mespech immer reicher.«
    »Ich sehe keinen Grund, warum wir das beklagen oder uns schuldig fühlen sollten«, sprach Sauveterre. »Wir wollen doch nicht in die Scheinheiligkeit der Papisten verfallen, die in Purpur einhergehen und die freiwillige Armut als große Tugendpreisen. Nein, Jean, die Lehre Calvins ist in diesem Punkt klar und einleuchtend. Daß es so viele arme Leute und nur wenige Reiche gibt, ist mitnichten das Werk blinder Kräfte. Was ein jeder besitzt, ist ihm nicht durch Zufall gegeben, sondern ward ihm vom Herrn und Meister aller Dinge zugeteilt.«
    »Ich will es glauben«, sagte mein Vater.
    Doch nach längerem Schweigen sprach er gedankenverloren mit leiser Stimme:
    »Wie kommt es nur, daß mein Herz so bekümmert ist ob der uns erwiesenen Gnade? Sie will mir fast zu groß erscheinen.«
     
    Am 6ten Juli erhielten die Herren Brüder durch einen reitenden Boten eine Nachricht von Monsieur de la Porte, besagend, daß in Sarlat die Pest wüte und an die hundert Personen täglich dahinraffe. Um zu verhindern, daß sich die Seuche im ganzen Amtsbezirk ausbreitet, habe er mit Zustimmung der Konsuln die Schließung der Stadttore angeordnet. Weil aber die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln aufrechterhalten werden müsse, bitte er meinen Vater, unsere Dorfleute zu benachrichtigen, daß an den gewohnten Tagen weiterhin die Märkte abgehalten würden, nur außerhalb der Stadtmauern, in der Vorstadt Lendrevie. Die Landleute sollen auch fürderhin Eier, Butter, Gemüse, Käse und sonstige Lebensmittel zur Stadt bringen können, ohne die Stadt selbst betreten zu müssen: die Einwohner würden ihre Einkäufe über Kommissionäre tätigen, die in den Vorstädten wohnen und ihren Kunden die gewünschten Waren durch die Torklappen liefern. Weiterhin fragte Monsieur de la Porte bei den Brüdern an, ob es ihnen möglich sei, mit der Lieferung eines halben Rindes zur Ernährung der Stadt beizutragen. »Zwar ist«, so fuhr Monsieur de la Porte fort, »die Nachfrage nach Fleisch geringer geworden, weil Adel und wohlhabende Bürger, ganz zu schweigen von den Richtern, dem Bischof und seinen Vikaren, sich eilends davongemacht und sich auf ihre Landsitze zurückgezogen haben. Verblieben sind aber die beiden Konsuln, vier Wundärzte, die königlichen Offiziere sowie ich selbst, und in der großen Gefahr, in der wir uns befinden, möchten wir nicht Hungers sterben müssen.«
    Monsieur de la Porte hatte ein Postskriptum hinzugefügt: »Es wird Euch betrüben zu erfahren, daß Madame de la Valade vorgestern der Seuche erlegen ist. Nach Abholung der Leicheward die arme Kammerjungfer Franchou – welche auch Eurer verschiedenen Gemahlin diente – sogleich im Hause ihrer Herrin eingeschlossen, Türen wie Fensterläden sind vernagelt. Eine solch grausame Maßnahme ist, wie Ihr wißt, gemeinhin üblich, und ich vermag nichts dagegen auszurichten. Franchou wird versorgt über einen Korb, den sie an einem Seil aus dem Oberbodenfenster auf die Straße herabläßt. Sie lebt mehr schlecht als recht von der öffentlichen Mildtätigkeit. Die arme Jungfer ist schier von Sinnen vor Angst, Hunger und Verzweiflung: sie greint und stöhnt und fleht in einem fort, man möge sie doch lieber töten als in dem verseuchten Hause einzusperren.«
    Mein Vater erhielt das Schreiben am Vormittag des 6ten Juli, und es kam darüber zu einem heftigen Wortwechsel mit Sauveterre. Durch das offene Fenster der Bibliothek drangen einige Wortfetzen an mein Ohr, ohne daß ich mir einen Reim darauf machen konnte. Einige Augenblicke später sah ich meinen Vater mit finsterer Stirn

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