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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Sattel, und wir alle feuerten mit den Sporen, mit der Peitsche und mit Worten unsere Gäule an, dabei seltsame Schreie der Erleichterung ausstoßend, und sprengten davon, daß die Funken nur so aus dem Pflaster der vermaledeiten Vorstadt stoben.

ZEHNTES KAPITEL
     
    Das Ärgste für Samson und mich an dieser Unternehmung war nicht der Tumult in Lendrevie: es waren die zwanzig Tage Quarantäne, welche wir nach unserer Rückkehr im Nordostturm erdulden mußten. Ebensowenig gefiel den Brüdern Siorac, daß sie in dem Zimmer unter uns eingesperrt saßen. Durch die Ritzen im Fußboden hörte ich sie – ohne unterscheiden zu können, wer von beiden sprach – über die Länge der Zeit jammern. Und die Zeit ward uns in der Tat lang, waren doch die Tage in ihrem Einerlei nur von den drei Mahlzeiten unterbrochen, welche Escorgol uns brachte. Auf Geheiß meines Vaters waren es freilich sehr üppige Mahlzeiten, die unsere Venen und Arterien gegen das Eindringen des tödlichen Pesthauchs stärken sollten.
    Escorgol war von meinem Vater für die Trägerdienste ausgewählt worden, weil er zwei Jahre zuvor die Pest in Nîmes überlebt hatte. Sein Körper, der schon einmal über das Gift gesiegt hatte, würde dieses wiederum vertreiben, sollte es ihn angreifen.
    Wegen seiner neuen Obliegenheiten – er hatte auch die Kaminfeuer in den Zimmern der Eingeschlossenen zu unterhalten – vermochte Escorgol seinen Wachdienst im Torhaus nicht mehr zu versehen. Letzteren übernahm mein Vater, indem er dort für die Quarantäne-Zeit im ersten Stock sein Quartier bezog, indes Franchou das zweite Geschoß belegte. Diese Quartieraufteilung hatte mein Vater entschieden; aus einer bissigen Anspielung im »Buch der Rechenschaft« geht hervor, daß Sauveterre eine andere Aufteilung bevorzugt hätte.
    Schon am zweiten Tag unserer Gefangenschaft schickte uns Oheim Sauveterre, damit wir nicht müßig unsere Zeit vertrödelten, den Titus Livius nebst unseren lateinischen Wörterbüchern sowie die »Geschichte unserer Könige« (von seiner Hand für uns abgefaßt), mit der Weisung, jeden Tag eine Seite aus dem Lateinischen zu übersetzen und zwei Seiten der Geschichte auswendig zu lernen; auch eine Bibel hatte er nichtvergessen, daraus dreimal am Tag die gekennzeichneten Abschnitte laut vorzulesen waren.
    In seinen schriftlichen Anweisungen verlangte Oheim Sauveterre von mir, ich solle Samson bei der Lateinübersetzung nicht helfen, was ich – ebenfalls schriftlich – in respektvollen Worten ablehnte mit der Begründung, daß Samson, wenn er schon auf die Hilfe des Oheims verzichten müsse, wenigstens die meinige bekommen solle, um nicht zu verzweifeln, wenn er sich alles so zu Herzen nimmt. Sauveterre willigte ein unter der Bedingung, daß ich die Stellen, wo ich meinem Bruder geholfen, unterstreiche. Samsons Lateinkenntnisse waren mitnichten schlecht, doch hatte er seine Schwierigkeiten mit dem Französischen, und in ebendiese Sprache sollten wir das Lateinische übertragen, nicht in das uns geläufige Okzitanisch. Ich hingegen war der Sprache des Nordens bereits hinlänglich mächtig, denn meine Mutter hatte sich in ihrem Bedachtsein auf feine Lebensart immer nur des Französischen bedient, wenn sie mit mir sprach, und auch mein Vater wendete es an, wenn er mich in der Arzneikunst unterwies. Der arme Samson hatte solcherlei Gelegenheiten der Übung nicht gehabt und war darob ganz verzagt.
    Ebenfalls schriftlich richtete ich an Sauveterre einige Bitten, zu denen mir unterschiedlicher Bescheid ward:
    1. »Darf ich mir von Escorgol zwei Degen sowie zwei Brustleder bringen lassen?« – »Einverstanden. Doch habet acht, daß Ihr nicht aus Ungestüm Euerm Bruder ein Auge ausstoßet.«
    2. »Darf ich mir von Escorgol mein Kugelfangspiel holen lassen?« – »Abgelehnt. Mein Herr Neffe, Ihr habt nicht mehr das Alter für solch nichtigen Zeitvertreib.«
    3. »Darf ich mit meinem Vater einen Briefwechsel über Fragen der Pest führen?« – »Einverstanden.«
    4. »Darf ich Catherine und der kleinen Hélix schreiben?« – »Abgelehnt. Ich wüßte nicht, was Ihr den Mädchen Wichtiges mitzuteilen hättet.«
    In diesem Punkte war ich ganz anderer Meinung, ebenso die kleine Hélix, wie das Brieflein zeigte, das sie eines Morgens unter der verriegelten Tür hindurchzuschieben vermochte und das folgendermaßen lautete:
    »Mein Pier, ich gab den dummen Torwärter einen brif fier dich, aber der gab in Sauveterre der ihn las und ins feuer warf und Alazai befaal

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