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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Gottvertrauen.«
    Dieser Brief – den ich aufbewahrt habe wie all die anderen Briefe von seiner Hand – beweist hinlänglich, daß mein Vater, wie Monsieur de Lascaux sagte (welcher berühmte Arzt Sarlat beim ersten Anzeichen der herannahenden Pest verlassen hatte), »ketzerisch in der Heilkunst wie in der Religion« war. Denn abgesehen von dem Theriaktrank schien er kein großes Vertrauen in die meisten der gegen die Pest verwendeten Heilmittel zu haben, auch nicht in die Salzlake und das Skorpionöl, davon ich einige Jahre später die Gelehrten zu Montpellier nur Gutes sagen hörte.
    Ach! wie lang ward mir doch die Zeit dieser Quarantäne. Jeder Tag schien ein Monat – ein Monat mit so vielen langen Tagen … Und wie groß wäre erst – trotz Titus Livius und unserer Könige – meine Ungeduld und meine Langeweile gewesen, hätte ich nicht Samson bei mir gehabt. Welch ein Engel des Himmels! Zwanzig Tage, zwanzigmal vierundzwanzig Stunden allein mit seinem Bruder in einem abgeschlossenen Raum leben – wenn man ihn dann, ohne daß es den geringsten Zank noch Streit gegeben, noch mehr lieben kann, zeigt dies deutlich, aus welch edlem Stoff er geschaffen ist; denn ich mache mir bezüglich meiner Wesensart nichts vor: ich kenne meine Unvollkommenheiten.
    Gewißlich habe ich es schon vermeldet, doch möchte ich es wiederholen: Samson ist vor allem schön – von einer Schönheit, welche die Finsternis zu erhellen vermag: sein rotblond gelocktes Haar, das bis auf die kräftigen Schultern wallt, seine himmelblauen Augen, das makellose Weiß seiner Haut, die ebenmäßigen Gesichtszüge. Ich spreche hier nur von seinem Angesicht und nicht von seinem Leib, welcher mit den Jahren immer mehr einem kunstvollen Bildwerk gleichen sollte. Allein seine Schönheit, seine Wohlgestalt sind nur die bloße Widerspiegelung der Seele, welche in dieser Hülle wohnt.
    Cabusse behauptet, Samson sei etwas schwerfällig im Hirn, weil es ihm bei der Abwehr der gegnerischen Fechtklinge und beim eigenen Angriff an Schnelligkeit ermangelt. Doch Cabusse irrt: dies ist nicht ein Mangel des Geistes, sondern eine Tugend. Samson liebt seine Mitmenschen solcherart, daß er nicht zu glauben vermag, andere könnten ihm oder er könnteihnen Schlechtes antun. Jegliche Bosheit, auch wenn sie nur gespielt sein sollte, ist ihm ganz unbegreiflich. Er hat dies vieltausendmal bewiesen, erst letztlich wieder, da er auf seinem Schimmel der aufgebrachten Volksmenge in Lendrevie gegenüberstand, die blauen Augen groß und erstaunt auf die Wütenden gerichtet, mit sanfter Stimme und leichtem Lispeln wiederholend: »Was ist mir das? Was ist mir das?«
    Selbst bei dem großherzigsten Menschen der Welt kommt einmal der Zeitpunkt, da sich die Eigenliebe in ihm regt – bei Samson niemals. Ohne daß es ihm recht bewußt wird und ohne daß er Ruhm damit zu erlangen sucht, stellt er seinen Mitmenschen stets über sich. Als meine Mutter starb, weinte er, obgleich sie zu ihren Lebzeiten kein einziges Mal das Wort an ihn gerichtet noch ihre Augen auf ihm hatte ruhen lassen. Wie kam es nur, daß er sie trotzdem liebte, und was sah er in ihr – er, der für sie unsichtbar gewesen? Ich weiß es nicht zu sagen, denn er gebraucht seine Zunge nur wenig und ist wohl auch nicht fähig, die Liebe, die er in sich trägt, mit Worten zum Ausdruck zu bringen. Aber von seiner unermeßlichen Liebe, die wie die Sonne gleichermaßen über allen schien, sollte mir am Ende unserer Quarantäne ein neuerlicher, anrührender Beweis zuteil werden, wie ich noch vermelden werde.
    Mein Vater nutzte die Muße, welche ihm die Quarantäne verschaffte, Monsieur de la Porte einen brieflichen Bericht über den Tumult in Lendrevie zu geben. Mit der Besorgung dieses Schreibens ward Escorgol beauftragt – mit der Maßgabe, den versiegelten Umschlag den Soldaten am Stadttor vermittels einer langen, an ihrem Ende gespaltenen Stange zu überreichen. Bei gleicher Gelegenheit sollte er das Geld für das verkaufte halbe Rind einziehen, und auch hierfür erhielt er strenge Anweisung: Die Münzen, welche vermutlich pestverseucht waren, weil sie in Sarlat durch so viele Hände gegangen, sollte er sich in einer mit Essig gefüllten Schale überreichen lassen.
    Guillaume de la Porte sandte zwei Tage später seine Antwort mit einem reitenden Boten, mit welchem mein Vater aber nur vom Turmfenster herab sprach, eine essiggetränkte Maske vor dem Gesicht. Vermittels einer ähnlichen Stange, welcher sich Escorgol bedient,

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