Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
übernahm er das Schreiben. Alsdann befreite er den Umschlag von den Ansteckungsstoffen, indem er Würzstoffe ins Feuer warf und ihn lange Zeit in die daraus aufsteigendenheilkräftigen Dünste hielt. Um ihn zu öffnen, zog er Handschuhe an und hielt das Schreiben beim Lesen so weit wie möglich von seinem Gesicht entfernt. Er selbst hat mir später von diesen Vorsichtsmaßregeln berichtet, welche er für beispielhaft hielt.
    Der Kriminalleutnant schrieb, ihm seien die Untaten des Forcalquier bekannt. Doch wie der Schlächterbaron richtig bemerkte, habe er gerade genug Soldaten, die Stadttore zu bewachen. Jeden Tag stürben ihm ein oder zwei weg, und wiewohl er gewillt sei, teuer zu zahlen, finde er keinen Ersatz. Und schlimmer sei noch, daß die Überlebenden sich seinen Befehlen wenig gehorsam erwiesen, vermeinten sie doch gleich dem Lumpenpack von Forcalquier, daß sie nur noch wenige Tage zu leben hätten. Und so mache sich überall Gesetzlosigkeit breit, Verderb und Fäulnis verbreitend wie ein übles Geschwür. Einer der beiden Konsuln (welcher, wollte er nicht sagen), dessen Dienstmagd von der Pest hinweggerafft worden und der um dieser Ursache willen bedroht war, in seinem Haus eingesperrt zu werden, habe in der Nacht des 9ten Juli heimlich die Stadt verlassen, nachdem er die Wache eines der Stadttore bestochen. Welchen Tores, wisse er nicht. Und wüßte er es, hätte er keine Möglichkeit, gegen die Bestochenen vorzugehen. Der Henker und seine Knechte seien tot, ebenso die beiden Wächter des Stadtverlieses. Und so könne er nicht nur die Untäter nicht bestrafen, sondern müsse sogar die Eingekerkerten freilassen, weil aus Mangel an Geld weder für ihre Bewachung noch für ihre Verköstigung gesorgt sei. Die Stadtkasse leere sich zusehends, da die Einnahmen versiegt, die Ausgaben indes schier unermeßlich seien. Neben den Pestmännern und den Soldaten, davon die einen zwanzig, die anderen fünfundzwanzig Livres im Monat erhielten, seien die Entseucher zu entlöhnen, welche dreißig Livres pro Haus verlangten, das sie durch Abbrennen von Schwefelblume reinigten. Die vier Wundärzte, welche eingewilligt, in Sarlat zu verbleiben, erhielten ein jeder zweihundert Livres im Monat. Dazu müßten noch deren Gehilfen bezahlt werden sowie die Diener, die ihnen in den pestverseuchten Häusern mit einer lodernden Wachsfackel vorangingen, das Gift zu vertreiben.
    Der verbliebene Konsul und Monsieur de la Porte fragten bei den Herren Brüdern an, ob sie der Stadt nicht eine Anleihe von zweitausend Livres zu einem Zinsfuß von 15 vom Hundert fürein Jahr gewähren könnten, wobei die Stadt als Sicherheit das von ihr bei der Versteigerung von Kirchenbesitz in Temniac erworbene Land anböte. Monsieur de la Porte wies darauf hin, daß die Sicherheit einen erheblich höheren Wert als die Anleihe besitze, der Konsul und er indes so entschieden hätten, weil sie nicht sicher seien, ob die Stadt jemals ihre Schuld zurückzuzahlen vermöchte: es stehe zu befürchten, daß sie durch das Hinsterben all ihrer Bewohner auf immer verschwinden könnte. Bei der fürchterlichen Pest anno 1521 habe Sarlat bereits dreitausendfünfhundert von seinen damals fünftausend Bewohnern verloren. Wenn die Seuche noch einige Monate weiter wüte wie bisher, werde der Tod alle hinwegraffen.
    Mein Vater berichtete mir, ihm seien beim Lesen dieses verzweifelten Briefes die Tränen in die Augen getreten, und er habe sogleich ein dringliches Schreiben an Sauveterre gerichtet, der Anleihe zuzustimmen. Was Sauveterre (welcher ebenfalls sehr betroffen war) ungesäumt tat, allerdings nicht ohne anzumerken, daß das als Sicherheit gebotene Land nur von geringem Interesse für Mespech sei: es liege zu weit von den eigenen Ländereien entfernt, als daß es anders denn durch Verpachtung genutzt werden könne, was keinen Gewinn bringe.
    An Samson und mich schrieb mein Vater tagtäglich, denn er hatte sich in seiner erzwungenen Untätigkeit mit Sauveterre geeinigt, unsere Lateinübersetzungen zu korrigieren, was er mit höchster Vollkommenheit tat, war doch sein Französisch von größerer Eleganz und Wohlgefälligkeit als das seines Bruders. Seinen Verbesserungen fügte er, an mich gerichtet, vorzügliche Lectiones über die Behandlung und Heilung der durch Arkebusenkugeln verursachten Wunden bei, welche Lectiones sich sowohl auf die Abhandlung von Ambroise Paré gründeten als auch auf seine eigenen Kenntnisse aus den neun Dienstjahren in der Normannischen

Weitere Kostenlose Bücher