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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Legion. Später habe ich erfahren, daß er auch die schriftlichen Arbeiten korrigierte, welche Catherine, die kleine Hélix und die Gavachette unter der Aufsicht von Alazaïs anfertigten, der die Herren Brüder dies Amt seit dem Tode meiner Mutter übertragen hatten.
    Es mag verwundern, daß man auf Mespech soviel Mühe auf die Unterrichtung der Mädchen verwandte, doch ob Herrin oder Magd, sie mußten alle die Kunst des Lesens erlernen, um zu ihrer eigenen Erbauung und später zu der ihrer Kinder Zugangzur Heiligen Schrift zu bekommen. Die Religion, so vermeinten die Herren Brüder, muß zunächst wie die Sprache, die man zu Recht Muttersprache heißt, von der Mutter an die Kinder weitergegeben werden, und zwar von frühester Kindheit an. So kam es, daß dank unserem hugenottischen Eifer die Gavachette und die kleine Hélix in ihrem Alter schon geübter im Lesen und Schreiben waren als manches Edelfräulein des katholischen Adels, welches kaum seinen Namen zu schreiben vermochte. Freilich hatte Alazaïs ihre eigene Orthographie, die sie leider an ihre Schülerinnen weitergab. Allein mein Vater störte sich nicht an dieser Unvollkommenheit und hielt Sauveterre, der Anstoß daran nahm, lachend entgegen, daß Katharina von Medici nicht besser schreibe als die kleine Hélix, wiewohl sie die Königin von Frankreich war.
    Drei Tage vor dem Ende der Quarantäne erhielt ich ein zweites Briefchen der kleinen Hélix, in seiner Form dem ersten gleichend und in seinem Inhalt ebenso liebevoll, denn die Schreiberin war immer noch »voler Gedencken« an mich. Was mich indessen sehr verdroß, war die Mitteilung, daß die Maligou und Barberine sich in ihrer Küche die Mäuler über Franchou zerrissen. Ich schwankte, ob ich meinem Vater nicht Nachricht geben sollte von diesem Spülmagdgewäsch, doch wie hätte ich es tun sollen, ohne den Anschein zu erwecken, daß ich mich in seine Angelegenheiten einmischen will, und ohne die kleine Hélix zu verraten? So entschied ich mich fürs Schweigen und sagte auch Samson kein Wort von diesem zweiten Brief, den ich sogleich ins Feuer warf.
    Von dem Ende meines Eingeschlossenseins erwartete ich wahre Wunder und sehnte mit ganzem Herzen jenen Morgen herbei, an dem ich endlich diese Kammer würde verlassen können, worinnen Samson und ich drei unendlich lange Wochen eingesperrt gesessen. Doch als jener Morgen dann angebrochen war, brachte er mir nur Unbill, Kreuz und Herzeleid.
    Mein Vater hatte uns in einem seiner Schreiben mitgeteilt, daß wir so lange in unserer Kammer zu verbleiben hätten, bis er selbst käme, uns zu holen. In Erwartung, daß sich der Schlüssel unserer dicken Kammertür endlich drehe, hatten Samson und ich uns zu einer letzten Fechtübung entschlossen, an deren Ende wir vor Hitze schier erstickten unter unseren Brustledern. Nachdem wir diese aufgeschnürt und endlich vom Leibe hatten,auch die Degen wieder in ihren Scheiden steckten, warf sich ein jeder, nackt wie ihn Gott erschaffen, auf sein Lager.
    Da ertönte endlich das so lang erwartete Knarren des Türschlosses. Ich setzte mich auf und sah meinen Vater zur Tür hereintreten, ein Lächeln auf den Lippen und die Augen voller Fröhlichkeit. Im Nu war ich auf den Füßen, Samson desgleichen, und beide liefen wir freudig auf ihn zu (wußten wir doch, mit welcher Herzlichkeit er uns in seine Arme schließen würde), als mein Vater mich unversehens anblickte, sich entfärbte und, indes seine lebhafte Freude augenblicks in kalten Zorn umschlug, mit lauter Stimme donnerte:
    »Mein Herr Sohn, seid Ihr ein Götzendiener geworden?«
    »Ich – ein Götzendiener?« rief ich, unter dem Gewicht dieser unglaublichen Anklage wankend und in meinem schnellen Lauf jählings stockend, indes auch Samson erstarrte und meinen Vater und mich aus großen Augen anblickte.
    »Ist das nicht eine Marienmedaille, was Ihr da um den Hals tragt?« fragte mein Vater mit zornesblitzenden Augen, den Zeigefinger zitternd auf das Streitobjekt gerichtet.
    »Ihr kennt sie«, erwiderte ich mit tonloser Stimme. »Es ist die Medaille meiner Mutter.«
    »Das ist mir gleich!« schrie mein Vater mit äußerster Heftigkeit und tat einen Schritt auf mich zu, als wolle er sie mir entreißen. »Es ist mir gleich, woher sie kommt und von wem Ihr sie habt! Daß Ihr sie tragt, ist so verdammenswert!«
    »Mein Herr Vater«, sprach ich mit fester Stimme, »meine Mutter gab sie mir am Tage ihres Todes und ließ mich das Versprechen ablegen, sie stets und immer zu

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