Fortune de France: Roman (German Edition)
seinen verborgenen Tugenden. »Und hier kann ich sagen wie Coulondre: Ich war dabei! Guise hatte beschlossen, die Bresche bei einsetzender Flut am Abend zu stürmen, und stieg selbst als erster in das eiskalte Wasser, welches ihm bis zum Gürtel reichte, um den Graben zu durchqueren, worinnen unsere Kanonen standen. Ihm folgten mehrere hundert Arkebusenschützen, seine Brüder d’Aumale und d’Elbeuf sowie viele freiwillige Adelsherren, zu denen ich gehörte. Durchnäßt und durchfroren, erklommen wir die Wälle und nahmen die Bresche in wildem Sturm. In der Zitadelle gab es ein blutiges Gemetzel, denn die Engländer waren alsbald von einer Überzahl der Unseren überrannt. Die armen Teufel waren in einer aussichtslosen Lage. Bis auf wenige, welche sich in die Stadt retten konnten, wurden sie alle in der Hitze des Kampfes niedergemacht. Als die Zitadelle fest in unserer Hand, übergab Guise den Befehl an d’Aumale und d’Elbeuf und durchquerte den Graben wiederum – diesmal bis zum Hals im Wasser –, um zum Gros des Heeres zurückzukehren. Da waren wir nun eine ganze Nacht abgeschnitten von den Unseren, bis es wieder Ebbe ward, und nur durch ein Tor von der feindlichen Stadt getrennt! Trotz der Dunkelheit beschloß der Gouverneur von Calais, Lord Wentworth, uns anzugreifen, um uns in den Graben zurückzujagen. Er ließ mit vier Kanonen auf das Tor feuern und die Zitadelle wieder und wieder berennen, ohne daß es ihm gelang, uns daraus zu vertreiben. Als im Morgengrauen die Ebbe einsetzte, hatte Lord Wentworth bereits die Hälfte seiner Truppen verloren und fügte sich in Verhandlungen zur Übergabe der Stadt. Auf seine Bitte hin gewährte Guise allenEinwohnern Schonung ihres Lebens und freien Abzug, so wie es zweihundert Jahre vorher Eduard III. mit den Franzosen getan, als er die Stadt eingenommen. Darauf begab sich d’An delot mit vier Dutzend Offizieren in die Stadt, unsere Soldaten im Zaum zu halten und Plündereien, Metzeleien und Vergewaltigungen zu verhindern.«
»Und die Verstärkung aus England?« wollte Sauveterre wissen.
»Kam an, doch zu spät. Die Stadt war bereits in unseren Händen. Die große Schnelligkeit, mein Bruder, gab den Ausschlag! Die Unternehmung wurde so schnell vollendet, daß Calais nach acht Tagen eingenommen war.«
Was dann geschah, vermeldete Jean de Siorac in der Stille seines Kabinetts ganz allein Sauveterre und später seinen Söhnen, als sie alt genug waren, solche Dinge zu verstehen.
»Mein Lebtag hatte ich noch nicht eine solche Kriegsbeute gesehen!« sprach Siorac, in dem kleinen Kabinett auf und ab gehend, indes Sauveterre, dem sein Bein zu schaffen machte, in einem Lehnstuhl saß. »Ich meine nicht nur die Munitionsvorräte, sondern vor allem die unglaublichen Mengen an Nahrungsmitteln, das ganze Geld in klingender Münze und die Kaufmannswaren aller Art, ganz wunderschöne Möbel, Seidenstoffe aus China, Tuchballen, Zinn- als auch Bronzewaren, bester englischer Wollstoff für hunderttausend Livres, Schaffelle für fünfzigtausend Livres! D’Andelot erhielt die Felle als seinen Anteil. Die Hauptleute wurden in klingender Münze ausgezahlt. Thermes bekam zehntausend Dukaten, Sansac viertausend, Bourdin und Sénarpont zweitausend …«
Er hielt inne und sah Sauveterre mit einem schalkhaften Gesichtsausdruck an.
»Und du, Jean?« fragte Sauveterre.
»Du und ich«, erwiderte Siorac, »wir haben viertausend bekommen.«
»Viertausend Dukaten!« rief Jean de Sauveterre mit blitzenden Augen. »Da hast du gewiß eine Heldentat vollbracht, welche du uns verschwiegen.«
»Pst! Die Heldentaten vergehen, die Dukaten bleiben! Wir werden somit unser schönes Vorhaben, eine Mühle im Beunes-Grund zu kaufen, endlich in die Tat umsetzen können.«
»Aber dort steht keine zum Verkauf.«
»Wir werden warten. Und in der Zwischenzeit vertrauen wir besagte Summe einem ehrlichen Juden zu Périgueux an, auf daß er sie etwas wachsen lasse.«
Es trat eine Stille ein, als lauschten die beiden, wie die viertausend Dukaten einer nach dem anderen in die Geldtruhen von Mespech fielen.
»Gott der Herr«, sprach Sauveterre, »hält weiterhin seine schützende Hand über uns und vermehret unsere Güter.«
»Amen«, sprach mein Vater darauf.
Er setzte sich Sauveterre gegenüber und fuhr fort:
»Ihr möget Euch verwundern, daß ich meinen Abschied genommen, noch ehe der Friedensschluß unterzeichnet. Doch erstens kann der Frieden nicht mehr lange auf sich warten lassen. Keine der
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