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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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sehr zusetzte, versuchte er sich abzulenken, indem er auf das Tzsch-tzsch der neun Sensen lauschte, welche durch das Gras fuhren, es kurz über dem Boden abzumähen. Da sich nicht alle im Gleichmaß bewegten, denn jeder Schnitter setzte ein wenig früher oder später ein als sein Nebenmann, verwoben sich die Abfolgen dieses Tzschtzsch zu einer Melodie, welche Faujanet mit Freude hörte, sang sie doch von wohlgefüllten Heuschobern und wohlgenährtem Vieh; vor allem aber war sie die Begleitmusik einer Männerarbeit – denn wer hätte schon jemals ein schwaches Weib stundenlang unter brennender Sonne mähen sehen? Das Weib taugt zum Heuwenden und zum Zusammenrechen, aber nicht zum Mähen. Bestenfalls kann es mit einer alten schartigen Sense ein paar Brennesseln am Wegesrand absäbeln wie die kleinen Buben des gnädigen Herrn.
    Es mag einer klein von Wuchs sein und krumme Beine haben wie Faujanet, er kann trotzdem ein heller Kopf sein. Und so hatte Faujanet denn auch seine Ansichten von dem Gras, das er mähte. Dazu war er Faßbinder und betrachtete die Dinge von einer höheren Warte als der an die Scholle gebundene Bauersmann, welcher sich ständig sorgte, selbst in Zeiten der Überfülle, und dessen Lieblingssprichwort war:
    Bringt reichlich Heu das Jahr hervor,
    kommt sonst kein Korn durchs Scheunentor.
     
    Was besagen sollte, daß in Jahren, da das Gras reichlich wächst, die Ernte nur mäßig sei. Doch Faujanet, welcher eine gesunde Urteilskraft besaß, traute jenem Sprichwort nicht allzusehr und pflegte seinerseits zu sagen: »Bringt wenig Heu dasJahr hervor, kommt auch kein Korn durchs Scheunentor«, wie sich anno 1557 erwiesen, als im Périgord acht Monate lang eine schreckliche Trockenheit geherrscht, welche das Gras hatte verdorren und Quellen wie Brunnen versiegen lassen, so daß Hirt wie Ackersmann große Hungersnot leiden mußten.
    Auf Ersuchen der Konsuln zu Sarlat hatte seinerzeit der Bischof in allen Kirchen der Diözese Bittgottesdienste angeordnet sowie eine große Prozession zur Kapelle der Heiligen Jungfrau zwischen Daglan und Saint-Pompon, zu welcher der Zug sich in der brennenden Sonne mit dem Kreuz an der Spitze und unter Bittgesängen an die Heiligen hinaufbewegte. Man hatte mit höchster Sorgfalt darauf geachtet, keinen Heiligen dabei auszulassen, damit nicht der Vergessene in seiner Verärgerung etwa die Trockenheit begünstige. Die Priester hatten bis zur Heiserkeit geheime lateinische Gebetsformeln wiederholt, welche Regen herbeiführen sollten. Die Gläubigen hatten scharenweise die Beichte abgelegt und reichlich zu den Kollekten gespendet, obschon sie nur wenig besaßen, und trotz allem war kein Regen gefallen. Noch schlimmer war es dann im Winter geworden, als das Vieh mangels Futter verkauft oder geschlachtet, die Zinsbauern ruiniert, die Felder verpfändet waren und unzählige brotlos gewordene Tagelöhner hungernd und bettelnd über die Straßen Frankreichs irrten, in ihrer Not gar Eicheln und Baumrinde essend.
    Und so sah Faujanet mit Freude das hohe, dichte, saftige Gras unter seiner Sense, welches gutes Fleisch von Kalb, Rind und Schaf versprach, genügend Milch, kräftige Pferde, den Pflug zu ziehen und die Äcker zu bestellen, und folglich gutes Auskommen wie Zufriedenheit für die kleinen Leute dieser Welt; denn die großen Herren wie die von Mespech sind mit hinlänglichen Vorräten versehen, um gut über magere Jahre zu kommen und gar noch am Getreideverleih zu verdienen, indes der kleine Mann niemals etwas auf der Seite hat, und wenn sich dann das Herz des lieben Gottes gegen das Volk im Sarladischen verhärtet wie anno 1557 – was mag ihn damals wohl so erzürnt haben gegen die Perigurdiner, welche auch keine größeren Sünder sind als andere? – und Er den Wolken verbietet, über der Provinz zu Regen zu zerschmelzen, bedeutet dies für die Armen nach wenigen Monaten schon Hunger und schwere Not.
    In jenem Winter war auf unseren Ländereien um Taniès, Sireil und Marcuays von nichts anderem die Rede als von dem Wolf, welchen Jonas gezähmt, und ich wollte ihn unbedingt sehen. Die Herren Brüder stimmten schließlich zu, daß Jonas am Sonntagabend Samson und mich mit in seine Höhle nähme und wir dort die Nacht verbringen dürften.
    Es geschieht gewiß nicht alle Tage, daß man in einer Höhle schläft, deren Eingang mit einem großen Stein verschlossen ist wie die des Zyklopen Polyphemos und aus welcher der Rauch des Feuers durch eine runde Öffnung in der Decke abzieht.

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