Fortune de France: Roman (German Edition)
machen durfte und nun befürchtete, die anderen Angreifer könnten ihm diesen Verstoß gegen die Regeln vorwerfen. Allein der König wollte von all dem nichts hören, verwies Monsieur de Vieilleville kurzerhand von der Bahn und befahl Montgomery, von neuem Aufstellung zu nehmen, was dieser schließlich auch tat, sehr widerstrebend.
Die tyrannische Haltung des Königs hatte ein gewisses Unbehagen unter den Zuschauern entstehen lassen, so daß die Hörner und Trompeten, welche die vorherigen Gänge mit ohrenbetäubendem Schalle begleitet hatten, stumm blieben, als die Gegner nun von neuem antraten. Und daß der besagte Gang also in eisiger Stille stattfand, ward später als ein unheilvolles Vorzeichen gedeutet.
Alles weitere geschah dann sehr schnell. Die beiden Gegner brachen ein jeder seine Lanze, doch Montgomery, immer noch in Anspannung befangen, warf das verbliebene Lanzenstück nicht weg, wie es die Regel wollte, sondern hielt es weiter in der Hand. Und wie sein Roß in schnellem Galopp weiterraste, traf der gesplitterte Lanzenstumpf den Kopf des Königs, stieß dabei das Helmvisier hoch und fuhr in das linke Auge hinein.Der König ließ seinen Schild fallen, fiel vornüber und vermochte sich nur mit letzter Kraft am Hals seines Rosses festzuklammern, welches ihn, noch immer im Galopp, bis an das Ende der Stechbahn trug, wo es von den königlichen Bedienten zum Stehen gebracht ward. »Ich sterbe«, rief der König mit schwacher Stimme, in die Arme des Oberstallmeisters sinkend.
Er lebte noch zehn Tage unter gar schrecklichen Schmerzen. Philipp II. schickte ihm sogleich den berühmten Wundarzt Vesalius aus Brüssel, welcher, assistiert von Ambroise Paré, die Wunde ausforschte und die Splitter des Lanzenschaftes zu entfernen suchte. Um sich eine Vorstellung von dem möglichen Ausmaß der Wunde zu verschaffen, ließen die beiden großen Ärzte sich aus der Conciergerie die Köpfe von vier soeben enthaupteten Verbrechern bringen und stießen Montgomerys Lanzenstumpf mit aller Macht gegen diese Köpfe. Aber diese makaberen Versuche brachten ihnen nur wenig Erkenntnis.
Am vierten Tag kam der König wieder zu Bewußtsein und befahl, die Verheiratung seiner Schwester und seiner Tochter mit seinen vormaligen Feinden zu beschleunigen. Dies geschah auch, doch in der allgemeinen Trauer der Gemüter und in der Vorahnung, daß der Sensenmann vor der Tür stehe, ähnelten diese Hochzeiten ohne Fiedelklang und Flötenschall eher einem Leichenbegängnis. Und in der Menge, welche dem stummen Hochzeitszug folgte, ging die unheilvolle Prophezeiung des Nostradamus von Mund zu Mund: Der junge Löwe wird den alten im Zweikampf bezwingen und in dem goldenen Käfig die Augen ihm ausstechen, ehe der grausame Tod ihn ereilt. Flüsternd bedeutete man sich, daß mit dem »jungen Löwen« ganz augenscheinlich Montgomery und mit dem »goldenen Käfig« der güldene Helm des Königs gemeint sei.
Zwei Tage nach den prinzlichen Hochzeiten, am 10ten Juli anno 1559, starb der König. Die vermeldeten Ereignisse erfuhren wir durch einen Brief aus Paris, welcher Mespech am 25sten Juli erreichte. Unter selbigem Datum findet sich im »Buch der Rechenschaft« eine kurze Eintragung meines Vaters sowie eine Randbemerkung von der Hand Sauveterres: »Mein Bruder, wie recht hatte ich doch, der Verzweiflung nicht nachzugeben. Heinrich II. wollte die Reformation an ihr Haupt schlagen, als er Anne Du Bourg und die Räte des Pariser Parlaments, welche unsere Überzeugungen teilen, einkerkerte.
Nun
hat Gott ihn selbst an das Haupt geschlagen.
Die Ratschlüsse Gottes sind ein tiefer Abgrund, welcher zuweilen von einem plötzlichen Lichtstrahl erhellt wird. Nach diesem offenkundigen Fingerzeig der Vorsehung wird nun vielleicht der Sturm der Verfolgung nachlassen.«
Worauf mein Vater am folgenden Tage, dem 26sten Juli, antwortete: »Solches ist wenig wahrscheinlich. Auf Heinrich II. wird sein Sohn Franz II. nachfolgen. Er ist ein Kind, ist mit Maria Stuart verheiratet und steht gänzlich in ihrem Bann. Und sie ist die Nichte der Guisen. Also wird weder die Macht in eine andere Hand übergehen noch die Verfolgung aufhören.« Jean de Siorac täuschte sich nicht: kaum war Heinrich II. unter der Erde, waren die Guisen auch schon die Herren im Königreiche. Sechs Monate später ward Anne Du Bourg als Ketzer auf dem Grève-Platz verbrannt.
Anno 1560 zog man auf Mespech erst recht spät zur Heumahd aus, denn zu Beginn des Monats Juli herrschte längere Zeit
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