Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
Vom Netzwerk:
rattert, hüpft auf und ab, und Deacon versucht, nicht an den platten Ersatzreifen im Kofferraum zu denken. Er hält Ausschau nach einer Abfahrt, die eigentlich längst hätte kommen müssen, und fragt sich, ob er schon dran vorbei ist. Wahrscheinlich war er in Gedanken zu beschäftigt mit dem Auto und hat nicht richtig aufgepasst. Nur ein Schotterweg, kein Namens- oder Hinweisschild, aber Toomey redete von einem alten Briefkasten auf einem Holzpfosten, ein verrosteter alter Briefkasten voller Löcher, weil die Jugendlichen ihn für Zielübungen benutzen, trotzdem könne man immer noch das FLAMMARION darauf erkennen, wenn man genau hinsah.
    Obwohl Deacon es irgendwie hinbekommen hat, die Südstaaten nicht ein einziges Mal in seinem Leben zu verlassen, ist diese Baumödnis ihm so fremd wie die Oberfläche des Mondes, der Meeresgrund. Er hat sich schon immer in den Stein- und Glaslabyrinthen der Städte wohler gefühlt, wo gerade Linien und rechte Winkel Ordnung schaffen in der Welt. Sonst nur Ratten und Tauben, und wenn ihm der Sinn nach Exotischerem steht, kann er jederzeit in den Zoo gehen. Die Wildnis hingegen steigert sein Gefühl von Einsamkeit nur noch, diese Verlassenheit verfolgt ihn seit Birmingham, und dazu ein Gefühl der Isolation, immer intensiver, fast mit Händen greifbar. Ein Großstadtjunge unterwegs in einer geliehenen Rostlaube, der allein in der Pampa herumkurvt und Geister jagt, während der Tag sich langsam verabschiedet und die Sonne baumlange Schatten auf die Eleanore Road zaubert.
    Nachdem Toomey fertig war mit seiner Geschichte und es keine Rolle mehr spielte, ob er Deacon für verrückt hielt, berichtete der ihm, was im Auto passiert war. Von der Strecke, die er möglicherweise zweimal gefahren war, von dem großen Anhalter mit den Tarotkarten. Er musste das einfach loswerden, hoffte sogar, es jemandem zu erzählen würde die Dämonen austreiben oder die Geschichte doch zumindest ein bisschen weniger unheimlich machen. Als er geendet hatte, schaute Toomey ihn eine Weile an, zupfte sich ein letztes Mal am gelben Schlips und sagte dann: «Wenn ich an deiner Stelle wäre, Junge, würde ich in dein hässliches kleines Auto steigen und nach Hause fahren. Manchmal will das, wonach wir suchen, einfach nicht gefunden werden, und manchmal wollen wir es auch gar nicht wirklich finden.» Dann schüttelte er Deacon wieder die Hand, sagte auf Wiedersehen und ging die Marmorstufen vor dem Gerichtsgebäude hinauf.
    Weiter vorn wird die Straße breiter, und Deacon ist sicher, dass er die Abzweigung irgendwie übersehen hat, wird schon langsamer, weil er gleich umdrehen will, da erkennt er am linken Straßenrand auf einem Holzpfosten den schrotdurchlöcherten Metallkasten, ganz versteckt, weil er mit Brombeergestrüpp überwachsen ist. Und tatsächlich, genau hier befindet sich auch der unbefestigte Weg, kaum breiter als der Chevy, ein rotbrauner Pfad voller Unkraut, der zu einem Ort führt, den Toomey Shrove Wood genannt hat.
    «Okay, da wären wir also», sagt Deacon. «Deine letzte Chance, Kumpel.» Aber er weiß, dass das nicht stimmt. Die letzte Chance, dem aus dem Wege zu gehen, was ihn am Ende des Pfads erwartet, hat er an einem anderen Ort, fast in einer anderen Zeit verpasst. Vielleicht als Sadie und er am Samstagabend aus der Wäscherei kamen, oder vielleicht war dieser Moment auch schon unausweichlich gewesen, als er Dancy Flammarion zum ersten Mal gesehen hat. Oder es war sowieso Schicksal und vorbestimmt, aber wie dem auch sei, jetzt wird er unter gar keinen Umständen noch umdrehen, trotz all der Dinge, die er von Toomey gehört hat. Ganz gleich, ob das nun dumm oder stur ist oder auch nur daran liegt, dass er Angst davor hat, was Chance und Sadie zustoßen könnte, wenn er einen Rückzieher macht. Also biegt er von der Eleanore Road ab, das Auto fährt in ein besonders tiefes Schlagloch und säuft ab.
    «Es ist mehr ein Trampelpfad und keine Straße.» Das hat Toomey gesagt, als Deacon ihn bat, ihm den Weg zur niedergebrannten Hütte zu beschreiben. «Obwohl es inzwischen sogar nur noch ein Wildwechsel sein dürfte.» Deacon betrachtet den schmalen Pfad, der sich durch die Bäume und Büsche windet, und bezweifelt, dass auch nur das Wild den noch benutzt. Der Wald hat sich den Weg zurückgeholt, hat hüfthohe Ableger darauf gepflanzt und Äste darüber fallen lassen, und durch die vom Regen ausgewaschenen Schlaglöcher würde der Chevy es nie schaffen. Deshalb macht Deacon sich auch gar nicht

Weitere Kostenlose Bücher