Foundation 06: Die Grösse des Imperiums
inzwischen wohlvertraut war. Sie hatte keine Worte, um auszudrücken, was sie für ihn empfand, und deshalb hatte sie es auch nie versucht.
Wenn er sie nun verließ? Er war klein für einen Mann, nicht größer als sie selbst und sogar etwas leichter. In vieler Hinsicht war er immer noch so hilflos wie ein Kind. Aber bevor jemand seinen Verstand abgeschaltet hatte, mußte er ein gebildeter Mann gewesen sein. Ein sehr wichtiger, gebildeter Mann.
Valona selbst hatte keine besondere Erziehung genossen. Sie hatte nur lesen und schreiben gelernt und danach auf der Berufsschule gerade so viel an technischen Fertigkeiten vermittelt bekommen, daß sie imstande war, die Maschinen in der Fabrik zu bedienen. Aber sie wußte immerhin, daß nicht alle Menschen einen so beschränkten Horizont hatten. So verfügte etwa der Schultheiß über ein umfangreiches Wissen, von dem sie alle profitierten. Gelegentlich kamen auch ›Herren‹ auf Inspektionsbesuch ins Dorf. Valona hatte sie nie aus der Nähe gesehen, doch als sie einmal an einem Festtag die Stadt besuchte, hatte sie von ferne eine ganze Gruppe dieser prächtig gekleideten Überwesen bestaunen können. Gelegentlich durften die Fabrikarbeiter auch zuhören, wenn sich gebildete Leute unterhielten. Es klang anders, flüssiger, der Tonfall war weniger hart, dafür verwendeten sie längere Worte. Auch Rik sprach immer öfter so, seit sein Gedächtnis allmählich zurückkehrte.
Seine ersten Worte hatten sie erschreckt. Sie waren ganz plötzlich gekommen, nach einem Kopfschmerzanfall, bei dem er lange vor sich hingewimmert hatte. Seine Aussprache war sonderbar, und sie hatte versucht, ihn zu verbessern, aber er war nicht darauf eingegangen.
Schon damals hatte sie befürchtet, er würde sie verlassen, wenn er sich an zu vieles erinnerte. Sie war doch nur Valona March, von allen ›die Starke Lona‹ genannt. Sie war nicht verheiratet und würde auch nie heiraten. Eine Riesin mit großen Füßen und schwieligen, roten Händen fand keinen Mann. Wenn die Jungen beim Festschmaus an den Mußetagen einfach über sie hinwegschauten, pflegte sie sich mit grollenden Blicken zu revanchieren. Backfischhaft zu kichern oder ihnen schöne Augen zu machen, war ihr nicht gegeben.
Sie würde niemals ein Baby in den Armen halten. Von den Mädchen im Dorf bekam eins nach dem anderen ein Kind, und sie drängte sich jedesmal wieder heran, um sich das rotgesichtige, kahlköpfige Etwas anzusehen, die zusammengekniffenen Augen, die ohnmächtig geballten Fäuste, das zahnlose Mündchen…
»Als nächste bist du dran, Lona.«
»Wann kriegst du denn endlich ein Baby, Lona?«
Sie konnte sich nur stumm abwenden.
Doch dann kam Rik, und er war so gut wie ein Baby. Er mußte gefüttert und versorgt, in die Sonne gebracht und in den Schlaf gewiegt werden, wenn ihn wieder einmal seine Kopfschmerzen peinigten.
Die Kinder rannten hinter ihr her, lachten sie aus und schrien: »Lona hat ’nen Liebhaber. Die Starke Lona hat ’nen närrischen Liebhaber. Lonas Liebhaber ist ein Rik.«
Und später, als Rik allein gehen konnte (an dem Tag, als er seine ersten Schritte machte, war sie so stolz auf ihn gewesen, als sei er wirklich erst ein Jahr alt und nicht um die dreißig) und sich ohne Begleitung auf die Dorfstraßen hinauswagte, da liefen sie ihm nach, umringten ihn und quälten ihn mit schrillen Gelächter und dummen Spottversen, nur um zu erleben, wie ein erwachsener Mann vor ihnen zurückschreckte, verängstigt die Hände vors Gesicht schlug und nur noch leise wimmern konnte. Dutzende von Malen war sie damals aus dem Haus gestürmt, hatte die Gören angeschrien und sie mit ihren großen Fäusten bedroht.
Diese Fäuste fürchteten sogar erwachsene Männer. Am ersten Tag, als sie Rik zur Arbeit in die Fabrik brachte, hatte sie ihren Abteilungsleiter mit einem einzigen Hieb zu Boden gestreckt, weil sie mitbekam, wie er hämisch eine zweideutige Anspielung über sie beide vom Stapel ließ. Der Fabrikrat zog ihr zur Strafe einen vollen Wochenlohn ab und hätte sie vielleicht sogar in die Stadt geschickt, um sie bei den ›Herren‹ vor Gericht zu stellen, wenn sich nicht der Schultheiß mit der Begründung, man habe sie provoziert, für sie eingesetzt hätte.
Deshalb wollte sie nicht, daß Rik sein Gedächtnis wiederfand. Sie wußte ja, daß sie ihm nichts zu bieten hatte; es war selbstsüchtig, sich zu wünschen, er möge immer ein hilfloser Schwachsinniger bleiben. Aber sie hatte eben noch nie erlebt, daß
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