Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Crackern – die Reste des Verpflegungspakets der Amerikaner. Dass die US-Soldaten das mit MRE abgekürzte Fresspaket auch mit »Meal Rejected by the Enemy« übersetzen – also als Mahlzeit, die vom Feind abgelehnt wird –, scheint die deutschen Soldaten nicht zu stören. Auch ich habe Hunger und schmiere mir dick Erdnussbutter auf die süßlichen Cracker.
Nach diesem überaus gehaltvollen Frühstück gehe ich auf eine Zigarette raus aus dem Gefechtsstand. Im Feldlager Kunduz habe ich mich noch mit einer Stange Marlboro Rot versorgt, meine Marke Marlboro Medium gibt es hier nicht. Wahrscheinlich mögen Soldaten auch beim Rauchen keine halben Sachen. Ich hab mich hier schon an so einiges gewöhnt. Alles erträglich. Trotzdem nervt es, nicht meine gewohnten Kippen rauchen zu können. Ich hätte mir meine Marke ja mitbringen können. Aber: Zigaretten kosten hier fast nichts. Im PRT Kunduz können sich die Soldaten, und kann auch ich mich, beim kleinen Kiosk – dem Marketender – zollfrei mit dem Nötigsten versorgen. Es gibt nicht viel, aber doch alles, was man für den Alltag so braucht: Deo, Taschentücher, Zahnpasta, Gummibärchen, Snickers, Red Bull (immer schnell ausverkauft) und, für die meisten am Wichtigsten, zollfreie, also sehr günstige Zigaretten. Ich zünde mir meine an und schaue mich um.
Juwe Schröder kommt aus seinem abgedunkelten Verschlag. Neben der dicken Plastikplane, die den Eingang notdürftig vor Fliegen und Licht schützt, hängt das Schild mit der Aufschrift »Vier Jahreszeiten«, das mir schon gestern bei meinem ersten Rundgang aufgefallen ist.
»Ja, als Gruppenführer und Oberfeldwebel wird man bei der Bundeswehr exklusiv untergebracht«, nuschelt Schröder noch etwas verschlafen.
Ich werfe einen Blick in die Bundeswehr-Version des Luxushotels, das im Original an der Hamburger Binnenalster steht und an dem ich zur körperlichen Vorbereitung auf den Einsatz immer mal wieder keuchend und schwitzend vorbeigejoggt bin.
Das Hamburger »Vier Jahreszeiten« verheißt seinen Gästen auf seiner Website: Historischer Charme und großer Luxus prägen das Ambiente des weltweit renommierten Vier Jahreszeiten. Bewusst wird in diesem Haus auf Prunk und Protz verzichtet. Luxus spürt der Gast in diesem Haus anders und ganz besonders außergewöhnlich. In allen Räumlichkeiten spiegelt sich die großartige Geschichte des Hotels wider, jedoch zu keiner Zeit aufgesetzt und künstlich, sondern liebevoll bis ins kleinste Detail gepflegt und absolut authentisch.
Ein Blick in das »Vier Jahreszeiten« auf der Höhe 432 lässt einen Vergleich durchaus zu: Es wurde auch in Schröders Unterstand auf Prunk und Protz verzichtet , nur ein alter Ventilator kämpft ohne großen Erfolg gegen die jetzt konstant steigenden Temperaturen. Und wie im Original spiegelt sich in den Räumlichkeiten die großartige Geschichte des Hotels wider. Auch das trifft auf Schröders Behausung zu. Dass hier schon einige schwitzende, müde und fluchende Soldaten häufiger schlecht als geruhsam geschlafen haben, erkennt man an den Kritzeleien auf den Holzbalken, die an der Decke und den Seiten den Unterstand stabilisieren. Mit Filzstiften und Kugelschreibern haben sich Schröders Vorgänger auf dem rissigen Holz verewigt:
Afghanistan ist alles doof … Hitze doof … Taliban doof … IEDs doof … EPa doof …
Für unsere gefallenen Kameraden: Ruhet in Frieden.
Wir werden Euch nie vergessen
Von Juli 2010 – Januar 2011
Wer das liest. Denk dran: Bald geht es nach Haus!
Noch 14 Tage!
100 Tage nicht gevögelt! Ich dreh langsam durch!
Und viele weitere Unmutsbekundungen über die Höhe 432. Namen von Soldaten, die hier ihren Dienst getan haben, Ortsnamen mit Angaben, wann dort Gefechte stattfanden. Man findet auf den Balken teilweise raffinierte Zeichnungen von dem, was die Soldaten umgibt – Waffen und Fahrzeuge. Sowie Zeichnungen von dem, was es hier oben nicht gibt – unbekleidete Frauen.
Und so passt – irgendwie – auch der letzte Satz der Beschreibung für das Original »Vier Jahreszeiten« auf Schröders staubige Kopie in Afghanistan: liebevoll bis ins kleinste Detail, gepflegt und absolut authentisch. Na gut, gepflegt nicht, aber dafür ungelogen: absolut authentisch. Ich frage Schröder, ob er nach zwei Monaten in Afghanistan schon Veränderungen bei sich und seinen Männern bemerkt hat. Die Antwort kommt so prompt, als habe er sich die Frage selbst schon ein paarmal gestellt:
»Ich denke, dass sich jeder von uns
Weitere Kostenlose Bücher