Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
nicht mehr lange dauern, dann wird es niemanden mehr interessieren, etwas darüber zu erfahren.
ZHANG MEIZHI:
Jaja, das stimmt, das ist eine ganz alte Schuld, von der will niemand mehr etwas hören. Die Jungen haben ihr eigenes Leben.
LIAO YIWU:
Ich schreibe Bücher, ich will nicht, dass Eure Generation so allmählich vergessen wird.
ZHANG MEIZHI:
Das verstehe ich nicht, ich war sechsundzwanzig, als mir die Bodenreform begegnete, heute bin ich vierundachtzig, habe Asthma, und mit meinem Magen stimmt schon lange etwas nicht.
LIAO YIWU:
Großmutter, regt Euch nicht auf!
ZHANG MEIZHI:
Aufregen hätte auch keinen Zweck, ich danke dem Herrn. Ich werde mich nicht über irgendwen beklagen, schon gar nicht über die Kommunistische Partei und den Vorsitzenden Mao. Die Bodenreform, das war eine große Sache, das konnten wir einfachen Menschen nicht verhindern. In dieser Gegend waren meine Vorfahren seit Generationen Beamte, und wenn gegen die einfachen Leute Recht gesprochen werden musste, gaben sie sich immer die größte Mühe, aber man kann nicht sagen, dass keine Fehler vorgekommen wären. Dass niemals Fehler vorgekommen wären, nur der Allmächtige dürfte dafür die Hand ins Feuer legen, da kann eine Partei wie die Kommunistische noch so groß, ruhmreich und korrekt sein, das darf sie nicht. Deshalb war es eine notwendige Folge, dass meine Familie als Grundbesitzer eingestuft wurde, auch dass wir von den armen und mittleren Bauern auf den großen Versammlungen bekämpft wurden, war nicht übertrieben, und was soll’s, dass wir auch nach Jahrzehnten noch nicht rehabilitiert sind, der Allmächtige hat bei sich alles gezählt. Heute kommen wir ganz gut zurecht, manche von uns studieren sogar, manche sind Beamte, wir haben viele von den armen und mittleren Bauern hinter uns gelassen.
LIAO YIWU:
Großmutter, seid Ihr zufrieden?
ZHANG MEIZHI:
Es gibt nur eins, was ich nicht verwinden kann und was mir oft Alpträume macht, und wenn ich aufwache, bin ich ganz verspannt. Was für eine Sünde hat meine Familie nur auf sich geladen, dass so viele Menschen ermordet wurden? Mein Mann, Zhang Xinlin, er war einmal der Distriktvorsteher hier, und mein Bruder Zhang Yingxin, er war Gemeindevorsteher, wurden zusammen auf der Bodenreform-Versammlung erschossen. Und als sie die beiden Leichen dann zurückbrachten, hatte man ihnen auch noch die Zungen herausschneiden lassen, warum war man nur so grausam?
LIAO YIWU:
Lasst uns von Anfang beginnen, wie viele Mitglieder hatte Eure Familie denn ursprünglich?
ZHANG MEIZHI:
Das kann ich gar nicht genau sagen. Fangen wir einmal von oben an: Mein Großvater mütterlicherseits hatte zwei Söhne, die beiden haben sich besonders gut vertragen, deshalb sind ihre Familien beisammen geblieben, und ihre jeweiligen Söhne und Töchter haben sie wie eigene Kinder behandelt. Der ältere der beiden hatte drei Söhne, der jüngere zwei. Nach der Altersordnung wurde der Älteste einer Generation Vorsteher des Kreises Yang. Er war die seit Jahren wichtigste Persönlichkeit, die das abgelegene Zehei seit Jahren hervorgebracht hatte. In jungen Jahren ging er nach Außerhalb zum Studieren und hat seinen Abschluss an der Militärschule von Yunnan gemacht, er war ein Schulfreund von Zhu De, dem späteren Oberbefehlshaber der Volksbefreiungsarmee der Kommunistischen Partei. Im Alter von fünfundzwanzig ist er dann auf Empfehlung vom Long Yun, dem Vorsitzenden der Provinz Yunnan, als Kreisvorsteher in den Kreis Deqin.
LIAO YIWU:
Ein Kreisvorsteher der nationalen Minderheit der Yi auf tibetischem Gebiet?
ZHANG MEIZHI:
Jaja. Damals hieß Deqin noch Andong, die Verwaltung war nicht klar und Räuber trieben ihr Unwesen. Long Yun hat eigens den ehrgeizigen großen Bruder für die Lösung dieser Probleme empfohlen. Resultat: Nach einem halben Jahr war die Gegend friedlich – was den Kreisvorsteher von Yang berühmt machte und ihm eine Auszeichnung von der Regierung einbrachte. Er ist dann am Vorabend der Befreiung gestorben, ein Glück, er wäre sonst der Katastrophe auch nicht entgangen.
LIAO YIWU:
Warum?
ZHANG MEIZHI:
Sein Motto war: »In der Armut standhaft bleiben und sich der Gewalt nicht beugen.« Auf der Militärschule hat er einmal vor Empörung auf den Tisch geschlagen, weil ein westlicher Instrukteur China als den »kranken Mann Ostasiens« verunglimpft hat. Er hat sich dann öffentlich mit diesem Instrukteur auf einen Kampf eingelassen und gewonnen, mit dem Resultat, dass Long Yun ihn
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