Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
Masse, die die ganzen Felder niedertrampelte. Ich war wie in Trance, ich hörte sie nur immer schreien: »Nieder mit der Grundbesitzerklasse!«
»Für den ist der Tod noch zu gut!«
»Lang lebe der Sieg der Bodenreform!«
»Lang lebe die Kommunistische Partei!«
»Lang lang lebe der Vorsitzende Mao!«
Und dann waren da die vielen Kinder, die den Klassenfeind mit Steinen und Lehm bewarfen, die an beiden Seiten des Wegs standen und die bösen Menschen mit Zweigen peitschten. Ich wurde unzählige Male geschlagen, ich bekam den Schmerz schon gar nicht mehr mit.
Ach, das war eine große Sache für sie, und wenn sie in aller Öffentlichkeit sämtliche Grundherren in tausend Stücke gehackt hätten, die Massen hätten auch nur applaudiert und gejubelt, von den Zungen gar nicht zu reden.
LIAO YIWU:
Und die Kader, die die Versammlung geleitet haben?
ZHANG MEIZHI:
Ich war vor der Bühne, ich habe nur die Stimme gehört, die die Todesurteile verkündete, ich habe niemanden gesehen.
LIAO YIWU:
Könnte ich die Urteilsbegründung sehen?
ZHANG MEIZHI:
Es gab keine Urteilsbegründung, es wurden sieben, acht Leute erschossen, ein gutes Dutzend zu Umerziehungslager verurteilt, keiner hat eine Urteilsbegründung bekommen. Damals war das mit den Urteilsbegründungen nicht Mode.
LIAO YIWU:
Ich habe aber schon Urteilsbegründungen aus den fünfziger Jahren gesehen, sie waren sehr nachlässig mit der Hand geschrieben.
ZHANG MEIZHI:
Davon weiß ich nichts.
LIAO YIWU:
Welche Gerichtsebene das war, müsste man in den Archiven nachsehen können.
ZHANG MEIZHI:
Das waren alles die Arbeitsgruppen hier aus der Gegend, welche Gerichtsebene das war, weiß ich nicht.
LIAO YIWU:
Ach ja? Aber was wollten sie mit den Zungen?
ZHANG MEIZHI:
Medizin.
LIAO YIWU:
Zur innerlichen oder äußerlichen Anwendung?
ZHANG MEIZHI:
Bei Unfallverletzungen äußerlich. Später habe ich gehört, dass sie die Zungen meiner Lieben dem örtlichen Milizkommandanten gegeben haben. Damals ließ die ärztliche Versorgung sehr zu wünschen übrig, und dieser vorbildliche Kompaniechef war bei der Durchführung seiner Verhaftungspflichten von einem Hund ins Bein gebissen worden. Ich weiß nicht, ob das die gerechte Strafe war, aber das Bein entzündete sich und schwoll an und schloss sich auch nach ein, zwei Monaten noch nicht. Seine Leute sammelten eine Unmenge Kräuter, zerrieben sie und banden sie auf die Wunde. Die Gesundheitsstationen in Gemeinde und Bezirk und auch die volkstümlichen Heiler, alle haben ihn behandelt, aber es war keine Besserung zu erkennen. Die Leute waren ziemlich besorgt und haben auf den Rat von irgend so einem Fachmann die Zungen meiner Lieben im Schatten getrocknet, in Stücke geschnitten und zu einem Pulver zerrieben, das man dann auf die Wunde gestreut hat.
LIAO YIWU:
Und das hat gewirkt?
ZHANG MEIZHI:
Eigentlich soll das sogar besonders gut wirken, aber er hat Tag für Tag das Zungenpulver aufgetragen, und das nicht nur ohne Wirkung, in das Bein faulte ein Loch breit wie eine Reisschale. Er konnte nicht mehr aufstehen, er jammerte zwei Wochen herum, wurde dann innerhalb einer guten Woche von einem Dutzend seiner Milizsoldaten auf einer Bahre und mit einem Auto bis in die Kreishauptstadt geschafft. Aber am Ende war er nicht mehr zu retten gewesen. Als er tot war, bekam er ein sehr aufwendiges Begräbnis, in der Gemeinde wurde eine Trauerversammlung abgehalten, die Bezirksverwaltung schickte jemanden, der eine Trauerbotschaft verlas und den Mann posthum zum »Märtyrer der Revolution« erklärte.
YANG SIXIAN
mischte sich ein:
Als ich und mein kleiner Bruder unseren toten Papa und Onkel gesehen haben, hatten wir fürchterliche Angst, das waren nicht mehr dieselben, die uns aus dem Alltag vertraut waren. Sie waren blutverschmiert, sie hatten Löcher in der Brust, größer als eine Suppenschale, vor allem die Gesichter sahen aus wie zersprungenes Glas, alles voller Risse. Mamas Gesicht war völlig ausdruckslos, sie kam zu ihnen herüber, als schlafwandle sie, sie hob den zerrissenen Ärmel und wischte damit Papa das Gesicht, dann wandte sie sich uns zu und ließ mich einen Holzkübel mit Wasser holen. Ich war fünf, mein kleiner Bruder drei, und wir schleppten an einem Stock einen halben Kübel voll Wasser heran. Mama hat Vater und Onkel ein wenig abgewaschen, wobei sie hustete und eine Weile wie erstarrt war, und dann hat sie an ihren Lippen gezogen, als wolle sie ihnen den aufgebrochenen Mund schließen, aber es
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