Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
Henan nach Zhengzhou, Luoyang und Nanyang; in Hubei nach Yichang, Wuhan und Xiangyang; in Jiangsu nach Nanking und in Jiangxi nach Jiujiang und Nanchang. Wir haben auf der Straße gesungen, ich war Gitarrist und Refrainsänger; weil ich schüchtern war und mich nicht sehr darum kümmerte, wie viel ich verdiente, war ich in der Band ziemlich beliebt.
LIAO YIWU:
Hat es dir gefallen, auf der Straße zu singen?
QUEYUE:
Damals waren wir jung, ich mochte es sehr, außerdem trug ich das elterliche Erbe in mir. Wir bauten unsere schäbige Anlage am Straßenrand auf, wenn wir loslegten, war das ein ohrenbetäubender Lärm, aber die Zuschauer warfen uns freimütig Geld zu, das wir aufsammelten, in einen Topf warfen und hinterher leistungsgerecht verteilten. Mir ging es dabei vor allem um die Freundschaft, und ich suchte nach einer Möglichkeit zu studieren. Ich träumte davon, eine Musikhochschule zu besuchen, um mich weiterzubilden und Komponist zu werden. Per Zufall kam ich zu einer Bibel und träumte dann davon, ein theologisches Seminar zu besuchen und ein gläubiger Komponist zu werden, Kirchenhymnen zu schreiben und sie unter Abertausenden von Gläubigen zu verbreiten.
LIAO YIWU:
Du hattest eine wirklich ungewöhnliche und turbulente Kindheit und Jugend.
QUEYUE:
In irgendeiner Großstadt begegnete ich einem Studenten namens Lin. Er verstand Englisch, konnte technisch sehr sauber Gitarre spielen und fand, es wäre schade, wenn ich keine Musikhochschule besuchen würde. Also räumte er sein Zimmer aus, ließ mich dort wohnen und zählte außerdem das Geld für mich. Wenn ich jetzt zum Beispiel zweihundert Yuan verdient hatte, sagte er: »Gut, das sind die Studiengebühren für drei Unterrichtsstunden.«
Hatte ich nicht so viel Glück gehabt und nur zwanzig, dreißig Yuan verdient, dann sagte er: »Das sind die Studiengebühren für null Komma eine Unterrichtsstunde.«
LIAO YIWU:
Hast du für die Studiengebühren genug verdient?
QUEYUE:
Ich hatte nur die grundlegenden Lebenshaltungskosten, ich rauche nicht und ich trinke nicht. Aber nach all den Jahren war kein Geld übrig, keine Ahnung, wie das ging. Für den Besuch der Musikhochschule wären einige zehntausend Kuai nötig gewesen, das war eine astronomische Summe. Außerdem hatte ich keine solide Basis. Selbst wenn ich das Geld gehabt hätte, wäre ich nicht hineingekommen. Aber so ein Traum ist eine schöne Sache.
LIAO YIWU:
Wärst du doch an ein theologisches Seminar gegangen, an Gottes Toren braucht man kein Geld.
QUEYUE:
Das stimmt, und es gab für mich eine Zeit, in der ich vom Heiligen Geist richtig erfüllt war. In jeder Stadt, wo ich als Straßenkünstler unterwegs war, gab es eine Kirche. Ich schrieb heimlich ein paar Hymnen und ging in die Kirchen, um mich darüber mit den Priestern auszutauschen. Einmal würdigte ein junger Priester meine Werke keines Blickes, er sagte, es gebe bereits Unmengen schöner Hymnen, ich sei noch so jung und müsse erst einmal etwas lernen. Dafür, selbst schöpferisch tätig zu sein, sei es noch ein wenig früh. Ich hielt dem mit klarer Stimme den berühmten Spruch aus den Psalmen des alten Testaments entgegen: »Singet dem Herrn eine neues Lied.« Da war er ziemlich baff.
LIAO YIWU:
Wenn es so lief, hättest du doch wirklich ein geistlicher Komponist werden können.
QUEYUE:
Ja, in Jingzhou in der Provinz Hubei empfahl mir ein Priester auch, nach Nanking zu gehen, und er gab mir die Adresse des Leiters des Theologischen Seminars Nanking. Da machte ich mich, meine eigenen Hymnen singend, auf den Weg, ich sang jetzt mit besonderer Inbrunst und rührte viele Passanten, manche verabschiedeten sich von mir sogar unter Tränen. Als ich aber schließlich beim Theologischen Seminar eintraf, bekam ich eine kalte Dusche.
LIAO YIWU:
Hast du den Leiter des Seminars nicht ausfindig gemacht?
QUEYUE:
Den habe ich ohne Probleme gefunden und ihm offen von meiner Familie, meiner Kindheit und von meinem Wunsch erzählt, dem Herrn nahe zu sein und ihm zu dienen. Außerdem davon, warum ich studieren wollte, von meinen Zukunftsplänen einer schöpferischen Tätigkeit und so weiter.
Weil ich mir das alles auf der Straße im Kopf wieder und wieder zurecht gelegt hatte, war es einerseits sehr bewegt, aber doch auch flüssig vorgetragen. Der Leiter des Seminars allerdings machte nur ein ernstes Gesicht und sah sich den jungen, von der Reise staubigen und müden Kerl da vor sich nicht einmal an. Wenn er gelegentlich die Mundwinkel zu
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