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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Gespräch:
    »Lassen wir den Neuen von den Verfahren probieren?«
    »Der sieht doch aus wie ein toter Hund, ich schätze, das steht der nicht durch.«
    »Nach den Regeln muss er aber.«
    »Du brauchst wohl ’ne Braut; zwei von den Sichuan-Speisen und der Sohn einer Schildkröte platzt.«
    »Nach ein paar Tagen Ruhe ist er wieder hergestellt.«
    »Wenn du meinst.«
    »Am Feuer braten geht allerdings nicht, mit Wasser kochen muss reichen.«
    »Bringen wir ihm also eine klare Suppe mit feinen Nudeln?«
    »Frische Suppe oder alte?«
    »Alte Suppe kriegen wir nicht rein in ihn.«
    »Also frische Suppe.«
    Dann pissten ein paar von den Knastbrüdern mit sichtlichem Vergnügen in eine große Schüssel, streuten eine Handvoll Stroh aus der Bettunterlage in ihre warme Pisse, kamen damit her, zwangen mir den Mund auf und flößten mir das Schluck für Schluck ein. Selbst als mir alles wieder hoch kam, machten sie weiter. Vor dem Gitter ging der diensthabende Polizist vorbei und brüllte: »Verdammte Scheißkerle, was für ein mieses Spiel treibt ihr da?«
    Die Knastbrüder standen auf und antworteten: »Melde der Regierung, wir geben ihm Medizin.«
    »Was für Medizin?«, fragte der Polizist weiter.
    »Bubenpipi«, antworteten sie, »das hilft bei Verletzungen.«
    »Wie viele von euch sind denn noch Buben?« Der Polizist lachte grölend: »Flößt ihm ja keine Syphilispisse ein!«
    »Ich hatte nur einmal Tripper«, machte der Anführer der Knastbrüder todernst Meldung, »keine Syphilis.«
    LIAO YIWU:
    Ekelhaft.
    QUEYUE:
    Aber meine Schmerzen wurden wirklich leichter, nach ein paar Tagen konnte ich aufstehen. Danach besprachen die Knastbrüdern, dass sie mich zusätzlichen Verfahren unterziehen wollten. Ihr Anführer verhörte mich wichtigtuerisch, als wäre er Polizist, und als er erfuhr, dass ich Sänger bin, tanzte er auf einmal wild gestikulierend los.
    LIAO YIWU:
    War der Anführer am Ende ein Popfan?
    QUEYUE:
    Popfans gibt es überall. Damals war gerade Tong An’ge in, und der Anführer bestellte auf der Stelle sein Lied »Yeliya«. Da saß ich also und sang, so gut es ging, der Schmerz zog sich von den Rippen bis zum Herz, und als ich zum Höhepunkt kam, »Yeliya, Yeli Yeliya, ich muss sie finden, ah«, stand mir der Schweiß im Gesicht und Tränen stürzten mir aus den Augen. Der Anführer rief ununterbrochen »fabelhaft« und wollte noch ein weiteres Dutzend Popsongs hören. Er ließ mich weitermachen, bis ich heiser und völlig benommen war.
    So kam es, dass ich jeden Tag den anderen Zelleninsassen etwas vorsang, ich wurde ein richtiger »Knast-Star« und kam viel besser durch die Zeit als die meisten anderen Kleinganoven.
    LIAO YIWU:
    Wer sich als wahrer Künstler erweist, dem ergeht es nirgendwo schlecht.
    QUEYUE:
    Mach dich nicht lustig über mich. Wenn man in so eine Scheiße gerät, ist das alles andere als lustig. In dieser etwas mehr als einen Woche habe ich sämtliche Lieder gesungen, die ich im Laufe meines Lebens gelernt hatte. Seither bekomme ich jedes Mal eine Gänsehaut, wenn von Popsongs auch nur die Rede ist.
    Natürlich ließ mich der Anführer auch »den Ballast abwerfen und die Maschinen in Gang setzen« [126] und trieb noch ein paar andere Spielchen mit mir. Wenn zum Beispiel die Regierung im Dienst nicht vor Ort war, sangen wir im Chor oder führten ein Theaterstück auf – einmal wurde mir Reisstroh an den kahlrasierten Kopf geklebt, als blond gefärbtes Haar, als Brüste wurden mir zwei Schüsseln unter die Jacke gesteckt, dann schmierte man mir ein wenig roten Wundpuder ins Gesicht, und ein geschmackloses Mädchen für alle Gelegenheiten war geboren.
    Der Anführer war ein harter Knochen, beim fahrenden Volk nicht unbekannt. Draußen war er auf das Eintreiben von Schulden spezialisiert. Wenn die andere Seite sich weigerte zu zahlen, schnitt oder hackte er demjenigen ein Ohr, eine Hand oder einen Fuß ab, wenn sie nur von ihm hörten, verließ die Leute der Mut. Deshalb hatte er jetzt, wo er sich in den Maschen des Gesetzes verfangen hatte und ernsthaft über sein Leben nachdenken musste, nur immer das luxuriöse Leben früherer Tage im Kopf – besonders wenn er verhört worden war und in die Zelle zurückkam, brüllte er meist:
    »Mein Knaststernchen, mach dich schön!«
    Kurz darauf saß er dann mit mir, den Arm um meine Schulter gelegt, auf dem aus Baumwolldecken gebauten Sofa und sang mit einem Zahnpastamikrofon in der Hand drauf los, von Teresa Teng bis Wakin Chau, fünfzig, sechzig

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