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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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trotzdem wurde mir beim Zuhören innerlich ganz heiß. Wer wollte sagen, dass das kein historisches Märchen ist?
    ***
    LIAO YIWU:
    Verehrte Frau Li, ich grüße Sie. Ich habe in einer Zeitschrift unlängst eine Erzählung von Guan Dong, Ihrem Mann, gelesen, in der es um das Schlafwandeln geht. Sie ist ungemein authentisch geschrieben. Ich würde gerne wissen, ob das persönliche Erlebnisse von Guan Dong waren? Kann er seine eigenen Träume so vollständig erinnern und strukturieren?
    LI YING:
    Sie sind nicht der Erste, der danach fragt, denn Guan Dongs Schlafwandelei ist allgemein bekannt. Er war in seiner Jugend ein sehr fortschrittlicher Mensch und nahm an der Studentenbewegung gegen die Korruptheit der Guomindang teil. Als er zu einer Demonstration auf die Straße ging, wurde er im Kampf mit der Militärpolizei gefasst und ins Gefängnis gesteckt, wo er mehr als vierzig Tage auszuhalten hatte.
    An dem Tag, an dem er aus dem Gefängnis entlassen werden sollte, hatte er kaum das Dokument unterzeichnet, als er durch einen stockdunklen Gang gehen musste. Weil ihm seine Schritte zu laut und zu ausgreifend erschienen, versuchte er soweit möglich ein wenig sachter und langsamer zu gehen. Als er dann fast am Ende angekommen war, atmete er auf und bemerkte zu spät einen Haufen schwarzer Schatten, die überall im Gang auftauchten. Schnell drehte er sich um, aber auch der Rückweg war versperrt.
    Guan Dong ist groß, er hat gelernt, im westlichen Stil zu boxen. Er brachte sich in Positur, wollte den Angreifern entgegentreten, aber es waren zu viele, und sie hatten dicke Holzknüppel bei sich. Schnell wurde er in eine Ecke abgedrängt, und vier, fünf Holzknüppel droschen gleichzeitig auf ihn ein. Mit beiden Fäusten wehrte er zwei Knüppel ab, aber ein Schlag direkt von vorne traf ihn mitten auf den Kopf, und er wurde mit einem lautem Schrei ohnmächtig. Als er wieder erwachte, war er frei und lag in einem hellen und sauberen Krankenhaus. Ich war Krankenschwester in diesem Krankenhaus, daher kenne ich die Ursache seines Leidens, und dort entdeckte ich meine Gefühle für ihn.
    Er wurde damals schnell zu einem Helden. Aus vielen gesellschaftlichen Gruppierungen bekam er Besuch, darunter Song Qingling [127] und He Xiangning [128] , außerdem einige recht berühmte Filmschauspieler. Sein Krankenzimmer quoll über vor Blumen, alle von jungen Frauen.
    Angespornt durch diese Anteilnahme der Gesellschaft erholte Guan Dong sich schnell. Er ließ sich auch von Journalisten interviewen und in Boxhaltung fotografieren. Das war alles am Vorabend der Befreiung, die Truppen der Guomindang hatten eine dramatische Niederlage erlitten, die hohen Beamten verschwanden auf der Suche nach einem Rückzugsraum einer nach dem anderen entweder nach Taiwan oder nach Europa. Die Gesellschaft geriet dadurch außer Kontrolle, und als Guan Dong aus dem Krankenhaus entlassen wurde, gab es für ihn nirgendwo etwas zu tun, so dass er dem Rat des Oberarztes folgte und für eine Zeit noch eine Kur anhängte.
    Guan Dongs Tagesablauf oblag meiner Verantwortung, und mit der Zeit wurden unsere Gefühle füreinander immer stärker. Einmal kam ich dann mit Arzneimitteltabletts aus dem Dienstzimmer, plötzlich hörte ich lautes Gebrüll aus Guan Dongs Zimmer:
    »Mmmuuuh!«
    Es war lauter als das Pfeifen einer Dampflok, alles an mir zitterte, die Arzneitabletts fielen zu Boden. Ohne sie wieder aufzuheben, rannte ich Hals über Kopf los und stieß die Tür zu seinem Zimmer auf, das gesamte Dienstpersonal war aufgeschreckt. Aber Guan Dong reagierte auf die allgemeine Fassungslosigkeit überhaupt nicht. Er stand am Fenster und rauchte. Ich stürzte zu ihm, um ihn zu stützen, doch er tätschelte nur meinen Handrücken und fragte ruhig lächelnd:
    »Was ist denn los? So viele Leute hier, was ist passiert?«
    Eine Krankenschwester wollte ihm antworten, da wurde ihr vom Oberarzt Einhalt geboten.
    »Nichts«, sagte er, »alle raus, nichts ist passiert.«
    Da Guan Dong bemerkt hatte, dass alle irgendwie seltsam waren, griff er nach meiner Hand, um der Sache auf den Grund zu gehen. Ich aber dachte, er hätte Theater gespielt, und wusste vor Ärger nicht, was ich sagen sollte.
    Danach suchte mich der Krankenhauschef auf, um mit mir zu sprechen, und sagte:
    »Sind Sie wirklich sicher, dass Sie Guan Dong heiraten wollen?«
    Ich bejahte sehr bestimmt.
    »Aber«, sagte der Chef, »Guan Dong wird möglicherweise niemals wieder ganz gesund werden«.
    Ich fragte hastig: »Hat er

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