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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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schreiben. Relativ viele Leute lesen auf der Toilette Zeitung oder telefonieren, einen Stift haben nur noch wenige dabei. Trotzdem, Kritzeleien gibt es immer noch. Gestern war da drin noch ein Gedicht, das an den Vorsitzenden Mao erinnerte, ha, das war gut zu behalten, einmal gelesen und man hatte es im Kopf: »Ach, Vorsitzender Mao, entsteig dem Grab und sieh / Nichts als korrupt sind sie / Ach, Mao, schau nach rechts und sieh / Nichts als rechte Hurenböcke sie / Ach, Mao, schau nach links und sieh / Nichts als falsch und mies sind sie / Ach, Mao, dreh dich um und sieh / Arbeitslose, Herdenvieh / Mao, ach, vor deine Füße schau und sieh / Außerehelich, das pflegen sie / Ach, Vorsitzender Mao, Du kannst es nicht sehn / Das Volk will an den großen Töpfen essen gehn.«
    LIAO YIWU:
    Ich will nicht an den großen Töpfen essen.
    ZHOU MINGGUI:
    Du natürlich nicht, aber du bist auch kein Tagelöhner.
    LIAO YIWU:
    Großvater Zhou, wie ist es mit Eurem Lohn, kommt Ihr hin?
    ZHOU MINGGUI:
    Man schlägt sich so durch. Die Straße hier ist relativ ungünstig, vorn an der Kreuzung ist auch noch ein Sportzentrum, wer sich nicht auskennt, hat keine Lust, hierherzukommen.
    LIAO YIWU:
    Ihr könntet das geschäftliche Umfeld ein wenig verbessern und die Toilettengebühr noch einmal erhöhen. Kennt Ihr die Nobeltoilette in der Binjiangstraße? Da drin stehen frische Blumen, es gibt Telefon, einen Rauchersalon, und es werden kleine Waren exklusiv verkauft. Etwa hochwertiges Toilettenpapier, Tampons, Parfüms, Hämorrhoidenmittel, entzündungshemmende Lotionen, Kaugummi und so weiter. Die Toilettenbenutzung kostet fünf Jiao für alle, da wird das Geschäft explodieren.
    ZHOU MINGGUI:
    Bei Toiletten gibt es keine Bekanntheitsgrade, wenn der Bauch sich bläht, kann man überall ablassen, wenn nicht, dann bringst du die Leute auch nicht mit einer Sänfte hier rein. Ich habe mir mit dem Chef zusammen die Toilette in der Binjiangstraße angesehen, dort sind lauter Teehäuser unter freiem Himmel, da stecken die Köpfe dicht beieinander. Die haben dort jede Menge Kapital und eine sprudelnde Touristenquelle, außerdem ist dort nur dieses eine Häuschen und keine Zweigniederlassungen. Ich habe fünf Jiao springen lassen, bin da rein und habe mir die Sache zu Gemüte geführt – das Desinfektionsmittel war zu stark, das verschlug einem den Atem, unerträglich. Die Wände hängen voll von Anzeigen für Hämorrhoiden, Verstopfung und Geschlechtskrankheiten, ein Laden, der mit andrer Leute Arschauge Geld verdienen will. Ich schätze einmal, dass auf der Damentoilette auch Tampons nicht fehlen und alle Arten von Anzeigen für Frauenkrankheiten. Ich habe hinten und vorne keine Zeit, aber die Augen halte ich offen, leider habe ich noch nichts daraus gemacht.
    Ach, ich habe im Monat zwei- bis dreihundert Yuan, und ich lebe bescheiden. Wenigsten zahle ich keine Miete, mein Sohn und meine Schwiegertochter fahren in die Stadt mit ihrem Fahrrad mit Beiwagen [19] , und ich habe einen Ort, wo ich die Füße hochlegen kann, die Mittel für den Lebensunterhalt, das ist auch ganz entspannt, so ungefähr wie in einem Altersheim. Schwer fällt nur, die alten Knochen zu bewegen wie ein normaler Mensch, eines Tages bricht mir das Kreuz, dann ist es zappenduster.
    Dass du noch nicht müde bist! Wie heißt es so schön: Wenn der Gelehrte in Flammen steht, sein Schwanz sich übern Kopf erhebt.

Die Totenrufer
    Im Süden wie im Norden Chinas gibt es die Legende von den Totenrufern, aber oft wird aus Nichts viel gemacht, und die Mystifizierung kennt keine Grenzen. Am Ende meines Gesprächs mit dem Trauermusiker Li Changgeng habe ich bereits die halb wahre, halb erfundene Szene von dem »Körper mit sechs Beinen« beschrieben, die das besondere Interesse nicht weniger Leser geweckt hat.
    Aber bei diesem Kapitel handelt es sich um ein konkretes Gespräch, das am Mittag des 7 . Oktober 2003 geführt wurde, am ersten Todestag meines Vaters. Es war ein klarer Tag, wie ich mich erinnere, und ich fuhr mit meiner Mutter, meiner Schwester, Wang Lu, und zwei Cousinen – kurz mit einem ganzen Haufen Leuten in zwei Autos in das alte Heimatdorf der Familie meines Vaters, um dort als Sohn dem Ahnenritus zu genügen. Die schweigende Trauer, die Räucherstäbchen, das Feuerwerk ließen sich nicht vermeiden, aber viel wichtiger war mir der Besuch bei dem Fengshui-Meister Luo Tianwang, der im gleichen Dorf wohnte. In jungen Jahren war er ein Freund meines

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