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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Augenschein genommen hat. Der Ehrenbogen der Kommune von damals steht heute noch dort. Weil eine Beziehung zwischen der Kommune
Roter Glanz
und dem Vorsitzenden Mao bestand, war sie ein landwirtschaftlicher Musterbetrieb, und das Getreide, das sie hervorbrachte, musste das allerallerbeste sein. Wir hatten zu kooperieren und jedes Jahr eine reiche Ernte zu garantieren, also schickten wir ihnen jedes Jahr mit großem Tamtam unseren »Bravourdünger«, die Schnauze des Wagens schmückte eine extra große rote Blume.
    Auch andere Organisationen und die Schulen schickten ihren Dünger, aber eben doch nicht an die Kommune
Roter Glanz
. Ihr sogenannter »Dünger« bestand hauptsächlich aus Kanalisationsschlämmen und Unkraut, die Qualität ließ sehr zu wünschen übrig – aber der Anblick war schon großartig: auf der Straße Handkarren, soweit man sah, und nicht wenige wurden noch von Volksschülern gezogen.
    LIAO YIWU:
    Als ich klein war, haben wir auch den Dünger weggebracht, wir gingen den Weg der »57« [11] . Großvater Zhou, was habt Ihr denn beim Umweltamt früher für Arbeit gemacht?
    ZHOU MINGGUI:
    Fäkalien herausholen, Fäkalien wegbringen, Toilettenreinigung, ich habe alles gemacht. Damals konnte man nicht über Preise verhandeln, die Partei sagte, was zu tun war, und das wurde getan. Unser Vorbild war Shi Zhuanxiang [12] , er war vom Vorsitzenden Mao empfangen worden. Ich habe ursprünglich in der Weihrauchstraße gewohnt, die Toilette am Ende der Straße hatte über dreißig Hockstellen [13] für Männlein und Weiblein, da war aus Brettern eine Etage hochgezogen worden, darunter war, halbzu, eine große Senkgrube. Mit den 70 er Jahren wurde der Dünger aus den großen Toiletten nicht mehr mit Leiterwagen weggeschafft, man fing an, Autos einzusetzen. Ein Rohr, Durchmesser wie ein Reisschälchen, wurde in die Grube gesteckt und mit dem Motor alles nach oben gezogen. Einmal war das Rohr verstopft, da habe ich es hochgeholt und mit der Hand ausgeräumt, es steckte ein halber Holzstecken drin und ein handtellergroßer Fötus. Diese beiden Dinge, eines hart, eines weich, waren so ineinander verkeilt, dass nicht viel gefehlt hat und die Maschine hätte dran glauben müssen.
    LIAO YIWU:
    Wer macht denn so etwas? Abtreibung kann man doch überall machen lassen!
    ZHOU MINGGUI:
    Junger Mann, du redest von den neunziger Jahren. Die Menschen früher, wer da keinen Trauschein hatte, der wagte sich nicht in aller Öffentlichkeit in ein Krankenhaus für eine Abtreibung! Das war moralisch verwerflich, wenn das publik wurde, konnte man ein Leben lang den Kopf nicht mehr heben. Deshalb haben sich viele junge Frauen nach einem Fehltritt heimlich etwas verschreiben lassen, um das Ding da in ihrem Bauch klammheimlich loszuwerden. Es kam sogar vor, dass sie das falsche Mittel nahmen und dabei draufgingen. Durch die Kulturrevolution wurde das alles viel zivilisierter, aber vor der Kulturrevolution, da waren die öffentlichen Toiletten die Abtreibungskliniken. Ich habe dort einmal eine Frau gefunden, die war ohnmächtig und ihr Unterleib voller Blut, ich habe sie in den Arm genommen und hinausgebracht. Der Mann, der das Unheil angerichtet hatte, hielt draußen Wache, es war ihm am Gesicht abzulesen, wie jung er war, und dann tat er auch noch so, als kenne er sie nicht! Ich hielt einen Omnibus an, doch er schob ein Lastenfahrrad heran und spielte sich auf von wegen »von Lei Feng lernen«. Ich hatte keine Lust, das an die große Glocke zu hängen, und weiß auch nicht, ob er sie nachher in ein Krankenhaus gebracht hat oder nicht – in China ist ein Leben ja nicht viel wert.
    LIAO YIWU:
    Ihr arbeitet in der Fäkalienbeseitigung und könnt in den Damentoiletten ein und aus gehen. Doch als wir noch Kinder waren, war die Damentoilette ein absolut geheimnisumwobener Ort. Einmal haben sie in der Nachbarschaft einen Sittenstrolch erwischt, der heimlich in die Damentoilette gesehen hatte; vom öffentlichen Spießrutenlaufen einmal abgesehen, musste er sich von den Gaffern auch noch anspucken lassen.
    ZHOU MINGGUI:
    Ich habe feste Zeiten, ich gehe nur rein, wenn niemand drin ist. Außerdem stelle ich draußen ein Schild auf: »Wegen Reinigungsarbeiten vorübergehend außer Betrieb.« Als ich die damals gerettet habe, hat mich eine Genossin auf die Damentoilette gezerrt.
    LIAO YIWU:
    Ich habe gehört, dass während der Kulturrevolution auch Professoren die Toiletten geputzt haben?
    ZHOU MINGGUI:
    Rinderteufel und Schlangengeister [14]

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