Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
wurden der Kontrolle der Massen unterstellt und zum Einwohnerkomitee geschickt, also an die Basis, zum Straßenkehren, Latrinenputzen, die haben alles gemacht. Ich wollte das machen, aber die rebellierende Organisation hat mich nicht gelassen, also vertrieb ich mir zu Hause die Zeit. Aber wenn man seine Arbeit gewöhnt ist, macht es einen krank, wenn man sich zu Hause herumtreiben muss; also gewöhnte ich mir an, morgens und abends einmal zu den Toiletten zu gehen und den Rinderteufeln und Schlangengeistern zu zeigen, wie es geht. Ich wusste, dass Intellektuelle keine Ungerechtigkeit aushalten, trotzdem mussten sie eine Zeitlang unterwürfig sein wie die Hunde. Innerlich aber setzten sie alles auf die Liste; wenn die Zeit reif wäre, würden sie die Punkt für Punkt wieder hervorholen. In den alten Opern gab es dieses Mädchen, es hieß Mengmai, das an der Großen Mauer ein Klagelied sang; wenn heute einer wie Qinshi Huangdi, der erste Kaiser, »die Bücher verbrennen und die Gelehrten begraben würde« [15] , da hätte niemand die Courage, so ein Klagelied zu schreiben, und es gäbe auch keine Rechnungen zu begleichen. Alles in allem waren der Vorsitzende Mao und die Kommunistische Partei voller Milde, sie haben die Literaten nicht umgebracht, nicht einmal Hu Feng [16] haben sie umgebracht, sie sprachen von »ideologischer Umerziehung«, sie sprachen von »Intellektualisierung der Arbeiter« und von »Proletarisierung der Intellektuellen«. Ob das einfach war? Die Intellektualisierung der arbeitenden Bevölkerung war natürlich eine Kleinigkeit, die steckte man in Klassen, damit sie lesen und schreiben lernte. Wer hätte nicht seinen Spaß daran gehabt, etwas über Geschichte und Politik zu erfahren? Aber wenn man einen Professor einen Abtritt putzen ließ, dann kehrte die Literatur den Boden. Die Zeitungen waren voll von Artikeln, in denen Beschwerden vorgebracht wurden, wo man so oder so über die ideologische Umerziehung ironische Bemerkungen machte. Wie es hieß, konnte man nicht verstehen, wenn sich einer in der Toilette am eigenen Gürtel aufgehängt hat. Naja, das nennt man schlimm, aber dass ich mein Leben lang die Scheißgruben ausräume, das ist nicht schlimm. Wenn du das schlimm nennst, das nimmt dir keiner ab. »Nur Bildung und Gelehrsamkeit zählen, alles andere ist nichts wert«, das ist von Konfuzius, nicht einmal Maos Arm war lang genug, um über Konfuzius hinauszureichen.
LIAO YIWU:
Ich finde, Ihr habt sehr viel Witz.
ZHOU MINGGUI:
Das steht außer Frage, wir arbeitendes Volk, nicht wahr, wir nehmen es, wie es kommt.
LIAO YIWU:
Ihr weckt viele Erinnerungen in mir – an diese großen, wandelgangartigen öffentlichen Toiletten, wir kleinen Hosenscheißer haben dort oft Verstecken gespielt, und wenn wir mal mussten und das Papier vergessen hatten, hoben wir einfach den Hintern und rieben ihn uns an der nächstbesten Bretterwand. Die Erwachsenen brachte das auf die Palme. Man könnte sagen, dass diese Toiletten das zweite Klassenzimmer meiner Generation war.
ZHOU MINGGUI:
Du nennst das Klo ein Klassenzimmer?
LIAO YIWU:
Ja, etwas in der Art. Alles, was wir in der Schule nicht lernten, konnten wir in den Toiletten finden. Meine erste Begegnung mit weiblichen Geschlechtsorganen hatte ich an der Trennwand einer Klokabine, ein wildes Durcheinander mit Loch, das war ganz schön direkt und abschreckend. Das nächste Bild war die Querschnittsdarstellung eines Geschlechtsverkehrs, die Körper von Mann und Frau waren weggelassen, es war nichts übrig als zwei ineinandergelegte Organe. Ich war gerade acht und ging in die zweite Klasse. Selbst unser Lehrbuch damals war feuerrot, niemals hätten wir erwartet, dass es jenseits des roten Meeres der Revolution derart verborgene Ecken geben könnte, also nahm ich zähneknirschend den Bleistift und krakelte eine Kritik an den Rand der Abbildung des Geschlechtsverkehrs: »Liu Shaoqi und Wang Guangmei machen schlimme Sachen.« [17]
ZHOU MINGGUI:
Hast du auch die Angewohnheit, überall was hinzukritzeln? Das ist nicht gut! Ich blicke da einfach nicht durch, warum so viele Leute, kaum dass sie ein großes Geschäft verrichten, mit der Kritzelei anfangen! Da scheuerst du und kratzt du, und kaum hast du es sauber, zack, im nächsten Moment ist alles wieder vollgemalt. In den vielen Jahrzehnten habe ich so viel gescheuert und gekratzt, gekratzt und gescheuert, das ist viel schwieriger als kehren und Latrinen putzen. In der Kulturrevolution, bei der Kampagne gegen
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